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Sonntagsmärchen

Vineta

Bei der Insel Usedom ist eine Stelle im Meere, eine halbe Meile von der Stadt gleichen Namens, da ist eine große, reiche und schöne Stadt versunken, die hieß Vineta. Sie war ihrer Zeit eine der größesten Städte Europas, der Mittelpunkt des Welthandels zwischen den germanischen Völkern des Südens und Westens und den slavischen Völkern des Ostens. Überaus großer Reichtum herrschte allda. Die Stadttore waren von Erz und reich an kunstvoller Bildnerei, alles gemeine Geschirr war von Silber, alles Tischgeräte von Gold. Endlich aber zerstörte bürgerliche Uneinigkeit und der Einwohner ungezügeltes Leben die Blüte der Stadt Vineta, welche an Pracht und Glanz und der Lage nach das Venedig des Norden war. Das Meer erhob sich, und die Stadt versank. Bei Meeresstille sehen die Schiffer tief unten im Grunde noch die Gassen, die Häuser eines Teiles der Stadt in schönster Ordnung, und der Rest Vinetas, der hier sich zeigt, ist immer noch so groß als die Stadt Lübeck. Die Sage geht, daß Vineta drei Monate, drei Wochen und drei Tage vor seinem Untergang gewafelt habe, da sei es als ein Luftgebilde erschienen mit allen Türmen und Palästen und Mauern, und kundige Alte haben die Einwohner gewarnt, die Stadt zu verlassen, denn wenn Städte, Schiffe oder Menschen wafeln und sich doppelt sehen lassen, so bedeute das vorspukend sichern Untergang oder das Ende voraus – jene Alten seien aber verlacht worden.

An Sonntagen bei recht stiller See hört man noch über Vineta die Glocken aus der Meerestiefe heraufklingen mit einem trauervoll summenden Ton.

Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853

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Sonntagsmärchen

Ludwig Bechstein: Märchen – Kapitel 11


Gevatter Tod
Es lebte einmal ein sehr armer Mann, hieß Klaus, dem hatte Gott eine Fülle Reichtum beschert, der ihm große Sorge machte, nämlich zwölf Kinder, und über ein kleines, so kam noch ein Kleines, das war das dreizehnte Kind. Da wußte der arme Mann seiner Sorge keinen Rat, wo er doch einen Paten hernehmen sollte, denn seine ganze Sipp- und Magschaft hatte ihm schon Kinder aus der Taufe gehoben, und er durfte nicht hoffen, noch unter seinen Freunden eine mitleidige Seele zu finden, die ihm sein jüngstgeborenes Kindlein hebe. Gedachte also an den ersten besten wildfremden Menschen sich zu wenden, zumal manche seiner Bekannten ihn in ähnlichen Fällen schon mit vieler Hartherzigkeit abschläglich beschieden hatten.
Der arme Kindesvater ging also auf die Landstraße hinaus, willens, dem ersten ihm Begegnenden die Patenstelle seines Kindleins anzutragen. Und siehe, ihm begegnete bald ein gar freundlicher Mann, stattlichen Aussehens, wohlgestaltet, nicht alt, nicht jung, mild und gütig von Angesicht, und da kam es dem Armen vor, als neigten sich vor jenem Manne die Bäume und Blümlein und alle Gras- und Getreidehalme. Da dünkte dem Klaus, das müsse der liebe Gott sein, nahm seine schlechte Mütze ab, faltete die Hände und betete ein Vaterunser. Und es war auch der liebe Gott, der wußte, was Klaus wollte, ehe er noch bat, und sprach: »Du suchst einen Paten für dein Kindlein! Wohlan, ich will es dir heben, ich, der liebe Gott!«
»Du bist allzu gütig, lieber Gott!« antwortete Klaus verzagt. »Aber ich danke dir; du gibst denen, welche haben, einem Güter, dem andern Kinder, so fehlt es oft beiden am besten, und der Reiche schwelgt, der Arme hungert!« Auf diese Rede wandte sich der Herr und ward nicht mehr gesehen.
Klaus ging weiter, und wie er eine Strecke gegangen war, kam ein Kerl auf ihn zu, der sah nicht nur aus wie der Teufel, sondern war’s auch, und fragte Klaus, wen er suche? – Er suche einen Paten für sein Kindlein. –
»Ei, da nimm mich, ich mach‘ es reich!« – »Wer bist du?« fragte Klaus. »Ich bin der Teufel!« – »Das wär‘ der Teufel!« rief Klaus, und maß den Mann vom Horn bis zum Pferdefuß. Dann sagte er: »Mit Verlaub, geh‘ heim zu dir und zu deiner Großmutter; dich mag ich nicht zum Gevatter, du bist der Allerböseste! Gott sei bei uns!«
Da drehte sich der Teufel herum, zeigte dem Klaus eine abscheuliche Fratze, füllte die Luft mit Schwefelgestank und fuhr von dannen. Hierauf begegnete dem Kindesvater abermals ein Mann, der war spindeldürr, wie eine Hopfenstange, so dürr, daß er klapperte; der fragte auch: »Wen suchst du?« und bot sich zum Paten des Kindes an. »Wer bist du?« fragte Klaus. »Ich bin der Tod!« sprach jener mit ganz heiserer Stimme. – Da war der Klaus zum Tod erschrocken, doch faßte er sich Mut, dachte: bei dem wär‘ mein dreizehntes Söhnlein am besten aufgehoben, und sprach: »Du bist der Rechte! Arm oder reich, du machst es gleich, Topp! Du sollst mein Gevattersmann sein! Stell‘ dich nur ein zu rechter Zeit, am Sonntag soll die Taufe sein.«
Und am Sonntag kam richtig der Tod, und ward ein ordentlicher Dot, das ist Taufpat des Kleinen, und der Junge wuchs und gedieh ganz fröhlich. Als er nun zu den Jahren gekommen war, wo der Mensch etwas erlernen muß, daß er künftighin sein Brot erwerbe, kam zu der Zeit der Pate und hieß ihn mit sich gehen in einen finstern Wald. Da standen allerlei Kräuter, und der Tod sprach: »Jetzt, mein Pat, sollst du dein Patengeschenk von mir empfahen. Du sollst ein Doktor über alle Doktoren werden durch das rechte wahre Heilkraut, das ich dir jetzt in die Hand gebe. Doch merke, was ich dir sage. Wenn man dich zu einem Kranken beruft, so wirst du meine Gestalt jedesmal erblicken.
Stehe ich zu Häupten des Kranken, so darfst du versichern, daß du ihn gesund machen wollest und ihm von dem Kraute eingeben; wenn er aber Erde kauen muß, so stehe ich zu des Kranken Füßen; dann sage nur: Hier kann kein Arzt der Welt helfen und auch ich nicht. Und brauche ja nicht das Heilkraut gegen meinen mächtigen Willen, so würde es dir übel ergehen!«
Damit ging der Tod von hinnen und der junge Mensch auf die Wanderung, und es dauerte gar nicht lange, so ging der Ruf vor ihm her und der Ruhm, dieser sei der größte Arzt auf Erden, denn er sähe es gleich den Kranken an, ob sie leben oder sterben würden. Und so war es auch. Wenn dieser Arzt den Tod zu des Kranken Füßen erblickte, so seufzte er und sprach ein Gebet für die Seele des Abscheidenden; erblickte er aber des Todes Gestalt zu Häupten, so gab er ihm einige Tropfen, die er aus dem Heilkraut preßte, und die Kranken genasen. Da mehrte sich sein Ruhm von Tag zu Tag.
Nun geschah es, daß der Wunderarzt in ein Land kam, dessen König schwer erkrankt darniederlag, und die Hofärzte gaben keine Hoffnung mehr seines Aufkommens. Weil aber die Könige am wenigsten gern sterben, so hoffte der alte König noch ein Wunder zu erleben, nämlich, daß der Wunderdoktor ihn gesund mache, ließ diesen berufen und versprach ihm den höchsten Lohn. Der König hatte aber eine Tochter, die war so schön und so gut wie ein Engel.
Als der Arzt in das Gemach des Königs kam, sah er zwei Gestalten an dessen Lager stehen, zu Häupten die schöne weinende Königstochter und zu Füßen den kalten Tod. Und die Königstochter flehte ihn so rührend an, den geliebten Vater zu retten, aber die Gestalt des finstern Paten wich und wankte nicht. Da sann der Doktor auf eine List. Er ließ von raschen Dienern das Bett des Königs schnell umdrehen und gab ihm geschwind einen Tropfen vom Heilkraut, also daß der Tod betrogen war und der König gerettet. Der Tod wich erzürnt von hinnen, erhob aber drohend den langen knöchernen Zeigefinger gegen seinen Paten.
Dieser war in Liebe entbrannt gegen die reizende Königstochter, und sie schenkte ihm ihr Herz aus inniger Dankbarkeit. Aber bald darauf erkrankte sie schwer und heftig, und der König, der sie über alles liebte, ließ bekannt machen, welcher Arzt sie gesund mache, der solle ihr Gemahl und hernach König werden. Da flammte eine hohe Hoffnung durch des Jünglings Herz, und er eilte zu der Kranken – aber zu ihren Füßen stand der Tod. Vergebens warf der Arzt seinem Paten flehende Blicke zu, daß er seine Stelle verändern und ein wenig weiter hinauf, womöglich bis zu Häupten der Kranken treten möge. Der Tod wich nicht von der Stelle, und die Kranke schien im Verscheiden, doch sah sie den Jüngling um ihr Leben flehend an. Da übte des Todes Pate noch einmal seine List, ließ das Lager der Königstochter schnell umdrehen und gab ihr geschwind einige Tropfen vom Heilkraut, so daß sie wieder auflebte und den Geliebten dankbar anlächelte. Aber der Tod warf seinen tödlichen Haß auf den Jüngling, faßte ihn an mit eiserner eiskalter Hand und führte ihn von dannen, in eine weite unterirdische Höhle. In der Höhle da brannten viele tausend Kerzen, große und halbgroße und kleine und ganz kleine; viele verloschen und andere entzündeten sich, und der Tod sprach zu seinem Paten: »Siehe, hier brennt eines jeden Menschen Lebenslicht; die großen sind den Kindern, die halbgroßen sind den Leuten, die in den besten Jahren stehen, die kleinen den Alten und Greisen, aber auch Kinder und Junge haben oft nur ein kleines, bald verlöschendes Lebenslicht.«

»Zeige mir doch das meine!« bat der Arzt den Tod. Da zeigte dieser auf ein ganz kleines Stümpchen, das bald zu erlöschen drohte. »Ach, liebster Pate!« bat der Jüngling, »wolle mir es doch erneuen, damit ich meine schöne Braut, die Königstochter, freien, ihr Gemahl und König werden kann!« – »Das geht nicht«, versetzte kalt der Tod. »Erst muß eins ganz ausbrennen, ehe ein neues auf- und angesteckt wird.« –
»So setze doch gleich das alte auf ein neues!« sprach der Arzt – und der Tod sprach: »Ich will so tun!« Nahm ein langes Licht, tat, als wollte er es aufstecken, versah es aber absichtlich und stieß das kleine um, daß es erlosch. In demselben Augenblick sank der Arzt um und war tot.
Wider den Tod kein Kraut gewachsen ist.

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Sonntagsmärchen

Das Märchen vom Schlaraffenland

Ludwig Bechstein

Hört zu, ich will euch von einem guten Lande sagen, dahin würde mancher auswandern, wüßte er, wo selbes läge und eine gute Schiffsgelegenheit. Aber der Weg dahin ist weit für die Jungen und für die Alten, denen es im Winter zu heiß ist und zu kalt im Sommer. Diese schöne Gegend heißt Schlaraffenland, auf Welsch Cucagna, da sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, und Türen und Wände sind von Lebzelten und die Balken von Schweinebraten. Was man bei uns für einen Dukaten kauft, kostet dort nur einen Pfennig. Um jedes Haus steht ein Zaun, der ist von Bratwürsten geflochten und von bayerischen Wursteln, die sind teils auf dem Rost gebraten, teils frisch gesotten, je nachdem sie einer so oder so gern ißt. Alle Brunnen sind voll Malvasier und andre süße Weine, auch Champagner, die rinnen einem nur so in das Maul hinein, wenn er es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile sich, daß er in das Schlaraffenland hineinkomme. Auf den Birken und Weiden da wachsen die Semmeln frischbacken, und unter den Bäumen fließen Milchbäche; in diese fallen die Semmeln hinein und weichen sich selbst ein für die, so sie gern einbrocken; das ist etwas für Weiber und für Kinder, für Knechte und Mägde! Holla Gretel, holla Steffel! Wollt ihr nicht mit auswandern? Macht euch herbei zum Semmelbach und vergeßt nicht, einen großen Milchlöffel mitzubringen.

Die Fische schwimmen in dem Schlaraffenlande obendrauf auf dem Wasser, sind auch schon gebacken oder gesotten und schwimmen ganz nahe am Gestade; wenn aber einer gar zu faul ist und ein echter Schlaraff, der darf nur rufen: bst! bst – so kommen die Fische auch heraus aufs Land spaziert und hüpfen dem guten Schlaraffen in die Hand, daß er sich nicht zu bücken braucht.

Das könnt ihr glauben, daß die Vögel dort gebraten in der Luft herumfliegen, Gänse und Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel, und wem es zu viel Mühe macht, die Hand darnach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks ins Maul hinein. Die Spanferkel geraten dort alle Jahr überaus trefflich; sie laufen gebraten umher und jedes trägt ein Tranchiermesser im Rücken, damit, wer da will, sich ein frisches, saftiges Stück abschneiden kann.

Die Käse wachsen in dem Schlaraffenlande wie die Steine, groß und klein; die Steine selbst sind lauter Taubenkröpfe mit Gefülltem, oder auch kleine Fleischpastetchen. Im Winter, wenn es regnet, so regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, daß es eine Lust ist, und wenn es schneit, so schneit es klaren Zucker, und wenn es hagelt, so hagelt es Würfelzucker, untermischt mit Feigen, Rosinen und Mandeln.

Im Schlaraffenland legen die Rosse keine Roßäpfel, sondern Eier, große, ganze Körbe voll, und ganze Haufen; so daß man tausend um einen Pfennig kauft. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln, wie Kästen (gute Kastanien). Jeder mag sich das Beste herunterschütteln und das Minderwerte liegen lassen.

In dem Lande hat es auch große Wälder, da wachsen im Buschwerk und auf Bäumen die schönsten Kleider: Röcke, Mäntel, Schauben, Hosen und Wämser von allen Farben, schwarz, grün, gelb, (für die Postillons) blau oder rot, und wer ein neues Gewand braucht, der geht in den Wald und wirft es mit einem Stein herunter, oder schießt mit dem Bolzen hinauf. In der Heide wachsen schöne Damenkleider von Sammet, Atlas, Gros de Naples, Barege, Madras, Taft, Nanking usw. Das Gras besteht aus Bändern von allen Farben, auch schattiert. Die Wacholderstöcke tragen Broschen und goldne Chemisett- und Mantelettnadeln, und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenuhren und Chatelaines sehr künstlich. Auf den Stauden wachsen Stiefeln und Schuhe, auch Herren- und Damenhüte, Reisstrohhüte und Marabouts und allerlei Kopfputz mit Paradiesvögeln, Kolibris, Brillantkäfern, Perlen, Schmelz und Goldborten verziert.

Dieses edle Land hat auch zwei große Messen und Märkte mit schönen Freiheiten. Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung genug und hübsch ist, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen und bekommt noch ein Draufgeld. Die alten und garstigen (denn ein Sprichwort sagt: wenn man alt wird, wird man garstig) kommen in ein Jungbad, damit das Land begnadigt ist, das ist von großen Kräften; darin baden die alten Weiber etwa drei Tage oder höchstens vier, da werden schmucke Dirnlein daraus von siebzehn oder achtzehn Jahren.

Auch viel und mancherlei Kurzweil gibt es in dem Schlaraffenlande. Wer hierzulande gar kein Glück hat, der hat es dort im Spiel und Lustschießen, wie im Gesellenstechen. Mancher schießt hier alle sein Lebtag nebenaus und weit vom Ziel, dort aber trifft er, und wenn er der allerweiteste davon wäre, doch das Beste. Auch für die Schlafsäcke und Schlafpelze, die hier von ihrer Faulheit arm werden, daß sie Bankrott machen und betteln gehen müssen, ist jenes Land vortrefflich. Jede Stunde Schlafens bringt dort einen Gulden ein und jedesmal Gähnen einen Doppeltaler. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Die Trinker haben den besten Wein umsonst und von jedem Trunk und Schluck drei Batzen Lohn, sowohl Frauen als Männer. Wer die Leute am besten necken und aufziehen kann, bekommt jeweilen einen Gulden. Keiner darf etwas umsonst tun, und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.

Hierzulande lügt so mancher drauf und drein und hat nichts für diese seine Mühe; dort aber hält man Lügen für die beste Kunst, daher lügen sich wohl in das Land allerlei Prokura-, Dok- und andere toren, Roßtäuscher und die ***r Handwerksleute, die ihren Kunden stets aufreden und nimmer Wort halten.

Wer dort ein gelehrter Mann sein will, muß auf einen Grobian studiert haben. Solcher Studenten gibt’s auch bei uns zulande, haben aber keinen Dank davon und keine Ehren. Auch muß er dabei faul und gefräßig sein, das sind drei schöne Künste. Ich kenne einen, der kann alle Tage Professor werden.

Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses läßt, dem ist jedermann dort abhold, und er wird Schlaraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann und dabei doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann angesehen. Wer nichts kann, als schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Der aber, welchen das allgemeine Stimmrecht als den Faulsten und zu allem Guten Untauglichsten erkannt, der wird König über das ganze Land und hat ein großes Einkommen.

Nun wißt ihr des Schlaraffenlandes Art und Eigenschaft. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden; aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn er sagt ihm gewiß keinen falschen Weg.

Um das ganze Land herum ist aber eine berghohe Mauer von Reisbrei. Wer hinein oder heraus will, muß sich da erst überzwerch durchfressen.

Sonntagsmärchen

Salz ist nicht nur in der Küche unbedingt von Nöten, gerade jetzt bei strapazierter Winterhaut. Zu lesen hier:

https://teil2einfachesleben.wordpress.com/2015/02/07/das-unentbehrliche/comment-page-1/

…und im Sonntagsmärchen.

Ludwig Bechstein

Das Unentbehrlichste

Vor Zeiten hat einmal ein König gelebt, der hatte drei gute und schöne Töchter, die er sehr liebte und von denen er auch herzlich wiedergeliebt wurde. Prinzen hatte er nicht, aber es war in seinem Reiche herkömmlich, daß die Thronfolge auch auf Frauen und Töchter überging, und da des Königs Gemahlin nicht mehr am Leben war, so stand dem Könige frei, eine seiner drei Prinzessinnen zu seiner Nachfolgerin auf dem Throne zu bestimmen, und es brauchte gerade nicht die älteste zu sein. Da aber nun derselbe König seine Töchter alle drei gleich liebte, so fiel ihm die Entscheidung schwer, und er ging mit sich zu Rate, diejenige zu wählen, die den meisten Scharfsinn offenbare. Diesen Entschluß teilte er seinen drei Töchtern mit und bestimmte seinen nahe bevorstehenden Geburtstag zur Entscheidung. Die sollte Königin werden, welche ihm »das Unentbehrlichste« bringen werde.
Jede der Prinzessinnen sann nun darüber nach, was wohl das Unentbehrlichste sei, und als der Geburtstag da war, nahete zuerst die älteste, brachte ein feines purpurnes Gewand getragen und sprach: »Gott der Herr läßt den Menschen nackend in die Welt treten, aber er hat ihm das Paradies verschlossen, darum ist ihm Gewand und Kleidung unentbehrlich.«
Die zweite Tochter brachte, auf einem goldenen gefüllten Becher liegend, ein frisches Brot, das sie selbst gebacken, und sprach: »Das Unentbehrlichste ist dem staubgeborenen Menschen Trank und Speise, denn ohne diese vermag er nicht zu leben, darum schuf Gott Früchte des Feldes, Obst und Beeren und Weintrauben und lehrte die Menschen Brot und Wein zu bereiten, die heiligen Symbole seiner Liebe.«
Die jüngste Tochter brachte auf einem hölzernen Tellerchen ein Häufchen Salz dar und sprach: »Als das Unentbehrlichste, mein Vater, erachte ich das Salz und das Holz. Darum haben schon alte Völker den Bäumen göttliche Ehre erwiesen und das Salz heilig gehalten.«
Der König war über diese Gaben sehr erstaunt und nachdenklich, und dann sprach er: »Am unentbehrlichsten ist dem Könige der Purpur, denn hat er den, so hat er alles übrige, geht er seiner verlustig, so ist er König gewesen und ist gemein, gleich andern Menschenkindern. Darum, daß du das erkannt, meine älteste geliebte Tochter, soll dich nach mir der königliche Purpur schmücken; komm an mein Herz, empfange meinen Dank und meinen Segen!«
Als der König nun seine älteste Tochter geküßt und gesegnet, sprach er zu der zweitältesten: »Essen und trinken ist nicht allerwege notwendig, mein gutes Kind, und es zieht uns allzusehr in das Gemeine herab. Es zeigt gleichsam die mittelmäßige Menge an, den großen Haufen. Gefällst du dir darin, so kann ich es nicht hindern, wie ich dir auch nicht danken kann für deine übel gewählte Gabe, doch für den guten Willen sollst du gesegnet sein.« Und der König segnete seine Tochter, aber er küßte sie nicht.
Dann wandte er sich der dritten Prinzessin zu, die bleich und zitternd stand und ahnete, nach dem, was sie gesehen und gehört, was kommen werde.
»Du hast wohl Salz auf deinem hölzernen Teller, meine Tochter«, sprach der König, »aber im Gehirn hast du keins, lebst aber doch, und folglich ist das Salz nicht unentbehrlich. Salz braucht man nicht. Du zeigst mir Bauernsinn mit deinem Salze an, nicht Königssinn, und am steifen hölzernen Wesen habe ich kein Wohlgefallen. Darum kann ich dir nicht danken und dich nicht segnen. Gehe von mir, so weit dich deine Füße tragen, gehe zu den dummen und rohen Völkern, welche, anstatt den lebendigen Gott, alte Holzklötze und Baumstöcke anbeten und das verächtliche Salz für heilig halten!«
Da wandte sich die jüngste Königstochter weinend von dem harten Vater ab und ging hinweg vom Hofe und aus der Königsstadt, weit, weit hinweg, so weit sie ihre Füße trugen.
Und kam an ein Gasthaus und bot sich der Wirtin an, ihr zu dienen, und die Wirtin ward gerührt von ihrer Demut, Unschuld, Jugend und Schönheit und nahm sie als eine Magd in das Haus. Und als die Königstochter sich sehr anstellig erwies in allen häuslichen Geschäften, so sagte die Wirtin: »Es ist schade um das Mädchen, wenn es nichts Ordentliches lernt, ich will sie das Kochen lehren.« Und da lernte die Königstochter das Kochen und begriff es sehr leicht und kochte bald manches Gericht noch besser und noch schmackhafter als ihre Lehrmeisterin selbst. Darob bekam das Wirtshaus vielen Zuschlag, bloß weil darin so vortrefflich gekocht wurde, und der Ruf der guten Köchin, die noch dazu so jung und so schön sei, ging durch das ganze Land.
Nun trug sich’s zu, daß die älteste Prinzessin, Tochter des Vaters dieser Köchin, sich vermählte und eine königliche Hochzeit ausgerichtet werden sollte, da wurde man Rates, die weit gerühmte Köchin an den Hof zu berufen, daß sie mit ihrer Kunst dem Feste die Krone aufsetze, denn die Herren am königlichen Hofe, Marschälle, Erbschenken, Erbtruchsesse, Zeremonienmeister, Kammerherren und sonstige Exzellenzen, teilten sämtlich nicht jene Ansicht, die einst ihr allergnädigster Herr, der König, ausgesprochen hatte, daß essen und trinken nicht allerweg notwendig sei, und daß es in das Gemeine herabziehe, vielmehr lobten sie alle gute Schmause neben feinen Weinen und huldigten, im stillen mindestens, dem alten wahren Sprichworte: Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen.
Das Hochzeitsmahl war köstlich bereitet, auch fehlte dabei nicht das Lieblingsgericht des Königes, welches der Erbtruchseß ganz besonders bestellt hatte, und als das Mahl gehalten ward, kam eine Speise nach der andern auf den Tisch und wurde hoch belobt.
Endlich kam auch die Leibspeise des Königes und ward ihm zuerst dargeboten. Aber als er sie kostete, fand er sie völlig unschmackhaft, seine heiteren Mienen verfinsterten sich, und er sprach zum hinter seinem goldenen Armstuhle stehenden ersten Kämmerlinge: »Dieses Gericht ist ganz verdorben! Das ist sehr – fatal, lasse die Schüssel nicht weitergeben und rufe mir die Köchin herein!«
Die Köchin trat in den prachtvollen Saal, und der König redete sie unwillig an: »Du hast mir mein Lieblingsgericht verdorben, meine Freude hast du mir versalzen, weil du meine Leibspeise ganz und gar nicht gesalzen hast!«
Da fiel die Köchin dem König zu Füßen und sprach demütig: »Übet Gnade, Majestät, mein königlicher Herr, und verzeihet mir! Wie hätt ich wagen dürfen, Euch Salz unter die Speise zu mischen? Hab ich doch vordessen aus eines hohen Königes höchsteigenem Munde die Worte vernommen: Salz braucht man nicht, Salz ist nicht unentbehrlich! Salz zeigt nur Bauernsinn an, nicht Königssinn!«
In diesen Worten erkannte der König beschämt seine eigenen und in der Köchin seine Tochter, und er hob sie vom Boden auf, darauf sie kniete, und zog sie an sein Herz. Allen Hochzeitsgästen erzählte er die Mär und ließ die jüngste Tochter wieder an seiner Seite sitzen. Und die Hochzeit wurde nun erst recht fröhlich begangen, und der König war wieder ganz glücklich in seiner Töchter Liebe.
Das Salz ist heilig.

Die schönsten Märchen von Ludwig Bechstein – Text im Projekt Gutenberg

http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-sch-623/13

Das Unentbehrlichste