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Erinnerungen – Bahnhofstraße 18

Den größten Teil meiner Kindheit verbrachte ich in einem villenähnlichem Gebäude, das auf drei Etagen, sechs Wohnungen beherbergte.
Mit Außenklo und die Wohnungen unterm Dach ohne fließend Wasser. Aber mit Balkon.
Es waren die frühen 70er.

Im Erdgeschoss des Hauses wohnten die verwitwete Hausbesitzerin mit ihren Eltern.
Eine gepflegte Dame – wie aus einer anderen Zeit- die bis in ihr hohes Alter schwimmen ging.
Links davon lebte ein altes, kinderloses Ehepaar. Einfache Leute, die friedlich ihre Tage gemeinsam verbrachten.
Darüber im ersten Stock zog meine Frau Mutter mit uns beiden 7- und 13- jährigen Mädchen ein und damit die zweite Witwe in der Hausgemeinschaft.
Neben uns wohnte ein altes Fräulein mit ihrem Herrn Bruder, Umsiedler aus Ostpreußen – vor allem das Fräulein war mir 7jähriger sehr zugetan – und in der oberen Etage teilten sich die dritte Witwe im Haus und noch ein weiteres Fräulein eine Wohnung. Daneben lebte ein Lehrer, der gern trank, mit seiner Frau und Tochter. Diese Familie lebte sehr für sich und zog später aus.
Im Hof des Hauses befand sich ein kleiner, parkähnlicher Garten, der einer Wäschewiese für alle Platz bot. Dort fand sich auch ein Fleck für mich und meinen Sandkasten.

Die beiden Parteien des Erdgeschosses hatten zusätzlich je einen baumumstandenen Außensitzplatz, in deren ureigenem Herrschaftsbereich mich jeder der älteren Leutchen willkommen hieß.
Vor allem das Elternpaar der Hausbesitzerin strahlte einen märchenhafte Senioreneleganz verbreitenden Charme aus.
Es waren schöne, ruhige Stunden, die ich still bei ihnen sitzend verbracht habe.
Die kleinen, eigenen, grünen Sommerinseln waren mit Blumen bepflanzt.

Auf der einen Seite blühten im Frühjahr eine Vielzahl von Märzenbechern und Schneeglöckchen zwischen zwei alten Eichen.
Vor zum Eingang hin, vorbei an der leichten Erhöhung der anderen Gartenresidenz, standen die Haselnussbüsche des Nachbargrundstücks und ein kaum mehr tragender Kirschbaum. Das alte, quietschende Eisentor schmückte sich seitlich mit Flieder und Knallerbsensträuchern.
In deren Schutz blühten zart Himmelschlüsselchen.

All das ist Jahrzehnte her. Meine Eltern hatten vor, ihren Lebensabend in diesem Haus zu verbringen. Ein Wasserrohrbruch in einem eisigen Februar machte das zunichte. Schon lange standen in dem verfallenden Gebäude Wohnungen leer. Die Wohnung über der meiner Eltern war eiskalt, das Rohr brach und das auslaufende Wasser richtete solchen Schaden an, dass meine Eltern ausziehen mussten. 

Noch immer sehe ich mich in der überschwemmten Wohnung stehen, während meine Mutter Pellkartoffeln kochte, um den Alltag zu erhalten und meinen Stiefvater versuchen von einem Auszug zu überzeugen. Nach dem Krieg war er in seine Heimatstadt zurückgelaufen, niemals wollte er sie wieder verlassen. Meiner Mutter zu liebe ist er mit umgezogen, in die Stadt in der ich jetzt lebe. Trotz größter Anstrengung hat er sich nicht einleben können und ist kurz nach dem unfreiwilligen Umzug verstorben. Noch einmal besuche ich unsere alte Wohnstätte. Sein alter Schuppen ist mittlerweile besser erhalten als das Haus.

Mein Stiefvater geht nicht mehr in seinen Schuppen, um zu werkeln, niemand geht mehr durch die Haustür in’s Innere des Hauses, in dessem Treppenhaus der Spruch hing:“Es wünsch mir Einer was er will, dem schenke Gott zehn Mal so viel.“.

Alles ist dem Verfall preisgegeben. Ich werde nicht mehr zurückkehren. Einmal noch musste ich es tun. Für meine Mutter, für meinen Stiefvater, für mich selbst.

Auf der Heimfahrt geht die Sonne unter. So wie jeden Tag.

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Erinnerungen – mein toter Vater – eine mit Nachsicht aufrechnende Abrechnung

Verlust ist es und der Schmerz um die Sinnlosigkeit dieses, das sind die überwiegenden Gefühle, wenn ich an meinen Vater denke, der mich als ich 6 Jahre alt war, durch Selbstmord verlassen hat.

An seine Zahnarztpraxis schloss sich unsere Wohnung. Vom großzügigem Wohnzimmer ging eine Tür direkt in sein Sprechzimmer. Für meine Mutter war das ideal, sie arbeitete mit in seiner Praxis. Mir fiel es schwer, mich nur einen Augenblick von meiner Mutter zu trennen. Immer wollte ich in der Nähe dieser schönen, weichen Frau sein. Für meine Mutter muss meine Klammerei anstrengend gewesen sein. Sie war damals eine lebenslustige Frau. Einmal ging sie allein mit ihrer Sportgruppe aus, meine große Schwester schlief, ich lag bei meinem Vater auf dem Sofa und schrie wie wild. Immer daselbe. Ich will zu meiner Mama! Mein Vater hat am Anfang versucht mich liebevoll zu beruhigen, er hat auf mich eingeredet, mich den langen Flur unserer Wohnung und auch noch den der Praxis entlang getragen. Mit nichts war ich zu beruhigen. Ich will zu meiner Mama! Am Ende hat er die Geduld verloren, mir ein Sofakissen auf’s Gesicht geworfen und gesagt, schrei da rein. Diese Geste hat mich von ihm entfernt, ich hörte auf zu schreien, aber nur aus Furcht vor diesem wütenden, großen schwarzhaarigem Mann mit den stechend blauen Augen. Irgendwann kam meine Mutter und für mich war aller Schmerz wieder gut.

Meinen Vater habe ich nur in einem weißen Kittel in Erinnerung. Von Fotos weiß ich, dass er immer gut gekleidet war. Beliebt wegen der Qualität seiner Arbeit war er und hatte einen großen Freundeskreis. Die kurzen Erinnerungen die ich an ihn habe, liegen fast alle in seiner Praxis. Einmal wünschte ich mir ein kleines Spielzeughäschen. Mit einem Schlüssel konnte es aufgezogen werden und begann dann sich im Kreis zu drehen. Es musste wunderbar sein, einen solchen Spielkameraden zu haben. Lange habe ich davon erzählt. Eines späten Nachmittags sagte meine Mutter ich solle in’s Sprechzimmer kommen, mein Vater hätte eine Überraschung für mich. Mein Häschen! Er hat mir mein Häschen gekauft! Ich sauste durch die nur mit Erlaubnis zu benutzende Wohnzimmertür zu ihm. Er hielt mir einen kleinen Hasen hin, der nicht im entferntesten mein tanzendes Wunschtierchen war. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich hatte ihm das Spielzeug genau beschrieben, es mir zu einem Anlass erbeten. Heute war ein normaler Wochentag, aber so veralbern musste er mich doch nicht! Traurig war ich, wie es ist, wenn ein Wunschtraum nicht wahr wird. Plötzlich ein Geräusch, ich drehte mich um und da war er, mein tanzender Hase. Direkt vor mir, er tanzte auf mich zu und ich bald überglücklich mit ihm. Mein Vater hatte einen Scherz gemacht. Nie habe ich solche Art von Scherzen gemocht und den bekommenen Hasen nicht geliebt.

Sehe ich diese Zeit aus heutiger Sicht, versuche ich durch diese Geschichten meinen Vater mir nah zu bringen. Er war ein begabter Mensch, interessiert, klug. Während seines Studiums erlernte er zusätzlich das Segelfliegen. Er war interessiert an Literatur und besaß eine umfangreiche Sammlung von Büchern, die er auch gelesen hatte. Einen Doktortitel besaß er und war kunsthandwerklich tätig. Verheiratet mit einer schönen Frau die ihn liebte, hatte er zwei gesunde Kinder. Zwar sollte ich lieber ein Junge sein, oft erzählte er mir, wenn du ein Junge gewesen wärst, hätte ich uns eine große Eisenbahnanlage gekauft, da du ein Mädchen bist haben wir uns für ein neues Auto entschieden. Aus solchen Erinnerungsfetzen versuche ich mir ein Bild eines Mannes zu machen, der all das später nicht mehr leben wollte.

Erst viele Jahre später, beim Tod meines Großvaters, als meine Großmutter einige Tage bei uns verbrachte (mein Vater war da schon Jahre tot), erfuhr ich durch Zufall, dass mein Vater eine Pflegekind war, der sich erst mit 18 Jahren von seinen Pflegeeltern (meinen Großeltern) hat adoptieren lassen. Ich hatte in’s Stammbuch geschaut und einen anderen Nachnamen als unseren entdeckt. Hattest du noch ein Kind, fragte ich meine Großmutter und wo ist es. Ja sagte meine Großmutter und…es ist auch tot. Meine Mutter hat mir kurz den Zusammenhang erklärt, dann wurde darüber nicht mehr gesprochen.

Ist es also die verlorene Identität gewesen, die meinen Vater nicht leben ließ? 

Erinnerungen habe ich an laute Streiterein meiner unternehmungslustigen Eltern. Sie gingen oft aus, kamen sie heim, gab es manchmal laute Streiterein. Ich habe mich aus meinem Bett geschlichen und hinter der Tür versteckt. Lauschend bin ich dort eingeschlafen und von den Eltern erst entdeckt worden als sie zu Bett gingen. 

Einmal hatte sich mein Vater mit dem Auto in der Garage eingeschlossen, den Motor laufen lassen und versucht, sich dadurch zu töten. Meine Mutter hat die Garagenfenster eingeschlagen und ihn damit gerettet und beruhigt. Warum diese Situation keine klärenden Handlungen nach sich zog, ist mir bis heute nicht bekannt. Nachbarn waren aufmerksam geworden, meine Mutter hätte alamiert gewesen sein müssen, mein Vater hätte eine Behandlung notwendig gehabt. Nichts geschah, das Leben lief seinen Trott weiter.

Ich war damals zu klein, um eingreifen zu können. Meine Mutter spricht nicht über diese Zeit. Inzwischen gönne ich ihr den Abstand und die Ruhe die sie dadurch gewonnen hat. Ich werde sie nicht mehr fragen und ihre Ruhe zerstören, um meine zu finden.

Erinnerungen – Schwimmbad


In meiner Erinnerung sind alle Kindheitssommer voller Sonne. Nicht, dass dies wirklich so wahr, nur – an den Rest erinnere ich mich nicht.

Am 15.Mai öffneten die Schwimmbäder. Schon in der Schule verabredete ich mich mit meinen Freundinnen für den Nachmittag. Den ca. 2km lange Heimweg von der Schule lief ich so schnell ich konnte, Schultasche weg, Badetasche her und ab. Wieder 2km zum Schwimmbad laufen. Macht nichts, Abkühlung wartet.

50 Pfennige Eintritt hatte mir die Mutter am Morgen schon bereit gelegt. Den Weg zum Schwimmbad nahm ich über eine Abkürzung, die durch Wiesen führte. Auf dem Rückweg pflückte ich meiner Mutter Sträuße von Wiesenblumen. Weiße Magariten, blaue Glockenblumen und die zartrosa Rispen eines blühenden Krautes, das ich besonders liebte. Schnuddelputzer nannten wir es, bis heute kenne ich den richtigen Namen für die Pflanze nicht.

Am Einlasshäuschen des Freibades bekam ich für meine 50 Pfennige Eintritt einen von einer großen Rolle abgerissenen Streifen grünes Papier – die Eintrittskarte. Schien der Sommer gut zu werden, kaufte meine Mutter mir eine Jahreskarte – aber wie gesagt – mir schien damals immer die Sonne.

Auf den großen Liegewiesen mit alten, Schatten spendenenden Baumbestand, hatten die einzelnen Klassengruppen ihre festen Plätze. Kam man zu spät, war der Platz weg und ein weniger guter Platz musste für diesen Tag genommen werden. Wir traffen und gern auf einer leicht erhöht liegenden Wiese. Von hier aus war gute Sicht auf das große Schwimmbecken und den Sandplatz zum Volley- oder Handballspielen. Waren die Plätze gesichert, gingen wir – natürlich in Mädchengruppen – zum Umziehen in die dafür bereit stehenden Umkleidekabinen. Man konnte gegen einen Aufpreis einzelne Kabinen mieten, dafür war uns unser Geld zu schade, es gab ja noch die großen Herren- und Damenumkleiden, die kostenfrei genutzt werden konnten. Warum wir uns so eigen hatten und uns nicht auf der Wiese umzogen…war halt so. Nicht überall wurde der DDR-FKK praktiziert. Die nassen Badeanzüge dagegen wechselten wir im Schutz großer Handtücher ohne den Schutz der Kabine. ( Natürlich hatten die Holzwände hinein gebohrte Löcher und natürlich spähten die Jungs hindurch. ) Etwas später war es “ in “ selbstgenähte Frotteeumkleiden zu benutzen. Oben mit einem Gummizug ausgestattet, stülpte man sich diese über den Kopf und im Schutz der weiten Umhüllung war ein Umziehen ohne nackig gesehen zu werden möglich. Schnell noch die Decken als Platzsicherheit ausgelegt, die Pflichtbadekappe aufgesetzt und ab unter die Dusche. Das war schon etwas überwindungsbedürftig, nicht wegen des kalten Wassers das aus den Duschen kam, sondern wegen der Regenwürmer, die sich im Duschbecken befanden.

Das Schwimmbecken selber war groß, sauber und mit gechlortem Wasser gefüllt. Noch immer rieche ich das Chlor, das beim Tauchen in der Nase kitzelte. Was haben wir im Wasser getobt. Über die Rutsche im flachen Nichtschwimmerbereich sind wir gesaust, weiter in’s Tiefe geschwommen, am Rand haben wir uns festklammert, um auszuruhen. Die Einmeterblöcke zum in’s Wasser springen waren viel benutzt. Auf das 5m oder 10m Brett dagegen wagten sich nur die ganz Mutigen. Vom Beckenrand her sind wir Arschbomben spritzend in‘ s Wasser gehüpft, dabei immer darauf achtend, so viele wie möglich nass zu spritzen. Die armen Erwachsenen…Besonders gern sprangen wir in der Nähe von Damen, welche die Haare gut unter den buntesten Badekappen mit Gummiröschen darauf versteckt, versuchten ihre Kaltwelle nicht nass werden zu lassen. Stunden haben wir im Wasser verbracht, bis die Lippen blau wurden und wir vor Unterkühlung am ganzen Körper klapperten. Dann erst, wenn vor lauter Zittern kaum noch sprechen möglich war, verliessen wir unser Wasserparadies um uns in der Sonne auf den weiten Wiesen liegend aufzuwärmen.

Ein beliebter Ort war der kleine Imbisskiosk. Aus Holz den Umkleidekabinen angeschlossen, stand stets eine lange Schlange hungriger Wasserratten vor ihm. Eis am Stiel gab es, manchmal auch das zwischen zwei Waffeln gebettete Moskauer Eis, ein unglaublich cremiges Vanilleeis. Oder Pücklereis – Schoko, Erdbeere, Vanille – fein geschichtet zwischen weichen Waffeln. Fassbrause haben wir uns geholt, im Becher für 15 Pfennige. Wer mehr Taschengeld hatte, konnte sich ein paar Wiener leisten oder eine Bockwurst für 80 Pfennige. Also – wenn man Glück hatte – meistens hatte man keins und nach langem Anstehen in der Schlange kaufte der Vordermann die letzte Wurst direkt vor der Nase weg. Macht nichts, ein Lolli aus Caramel mit Kakaokern oder süße Zuckerbonbons waren genauso beliebt.

Auf die Decken wurden die Esssachen geschleppt und mit Heißhunger verzehrt, bevor es wieder in’s Wasser ging. Davor gab es noch ein Hinderniss. Die Limonade wollte auch wieder raus. Ganz vorn am Eingang waren die Toilettenhäuschen, schon von weitem konnte man sie in der Sommerhitze riechen. Der von den vielen nassen Füssen glitschige Betonboden war eine weitere Eckelhaftigkeit. Ich bin mir ziemlich sicher – der Eine oder Andere hat das Schwimmbecken anstatt der Toilette benutz. Der Bademeister verbreitete das Gerücht, das Wasser würde sich blau verfärben, falls es jemand falsch benutzen sollte. Danach war der Abdrang am Toilettenhäuschen wieder höher.

Um die Wette geschwommen sind wir, wer kann am Längsten unter Wasser die Luft anhalten haben wir gespielt, Wasserballschlachten haben wir veranstaltet und natürlich Handstand im Becken probiert.

An die Benutzung von Sonnencreme kann ich mich kaum erinnern, Lichtschutzfaktor 50+ war noch unbekannt, Sonnenöl schmierten sich mit heller Haut gefährdete auf, um dann im Wasser Regenbogenspuren hinter sich her zu ziehen.

Wenn das Bad sich gegen Abend leerte, 20.00 Uhr war Schließzeit, begann die schönste Zeit. Das große Becken mit nur Wenigen zu teilen war ein Genuß. Hundemüde und braun, hungrig wie ein Wolf, machte ich mich dann auf den Heimweg. Nochmal 2km nach Hause, die dann schwer fielen. Der Mutter noch Blumen gepflückt, das zu Hause bereit stehende Abendbrot verschlungen und in’s Bett und in tiefen Schlaf fallen. Morgen scheint wieder die Sonne!

Erinnerungen – Reise an’s Meer

Den Sommerurlaub verbrachte ich in Kindertagen mit meinen Eltern und meiner älteren Schwester am Meer.

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Mein Vater war Zahnarzt und Teil der Beschaffungsgesellschaft, die in den späten 60er Jahren noch funktionierte.
Das sie nicht ausfüllte, zeigte der frühe Freitod meines sensiblen Vaters.
Doch noch war es nicht so weit, noch glänzte das Leben, erklang mein Kinderlachen ohne Angst.
Der Freundeskreis war, für damalige Verhältnisse, elitär.
Der Fisch- und Obsthändler, ein Gastwirt, der KFZ-Werkstattbesitzer und der Inhaber des Herrenbekleidungsgeschäftes gehörten dazu.
Bei uns zu Hause gab es, wenn auch nicht immer, also den begehrten Räucheraal und die seltenen Bananen. Unser Trabant hatte stets alle notwendigen Ersatzteile, die Reservierungen für Familienfeiern waren problemlos zu tätigen und mein Vater war ein gut angezogener  Mann.
Nie hat er zu festlichen Anlässen im familiären Rahmen anderes als elegantes Schuhwerk getragen.
Die Tage der Hausschuhabende war weit entfernt.
Im Gegenzug trugen diese Freunde die nach dem Tod meines Vaters – bis auf einzelne, wenige schnell weg blieben –  wahrscheinlich Goldinlays statt Amalganfüllungen.

Im Sommer fuhren wir, wie gesagt, an die Ostsee.
Oft in kleine Ferienzimmer, dort war man als Stammgast gern gesehen, sicher gegen einen Gefallen, der das Leben leichter machte.
Die DDR war eine Tauschgesellschaft.
Einige Male wohnten wir bei „Tante Meta“, in einem Zimmerchen für vier, das nicht mit viel mehr als Betten gefüllt war.
Doch wer braucht schon mehr, wenn Sandburgen komfortable Traumräume boten und Ostseewasser über die Haut spritzte, aus jeder Welle eine Nixe schaute und ich braungebrannt in der Sonne spielen konnte.

Wie all die vielen Koffer und Sachen, die zwei kleine Kinder benötigen, in den Trabant hinein passten, ist mir heute ein Rätsel.
Auf dem Rücksitz fanden meine Schwester und ich jedenfalls immer noch ausreichend Platz und los ging die Fahrt.

Aufregend und geheimnisvoll war das schon ab dem Vorabend.
Die Tage waren heiß, die Autos ohne Klimaanlage und so fuhren wir in den ersten Morgenstunden los.
Um ausgeschlafen zu sein, gingen meine Eltern früh zu Bett, uns Kindern wurde selbiges befohlen.
Es gab auch keinen Widerspruch unsererseits, denn auch die antiautoritäre Erziehung war noch nicht geboren.
Aufgeregt schatterte ich mit meiner Schwester im Bett, ich war das „Schnatterinchen“ der Familie, meine Schwester als Erstgeborene und erstes Enkelkind unserer Großeltern der „Sonnenschein“.

Im Dunklen noch, begann vor dem Morgengrauen die Reise.
Meine Mutter hatte für Proviant gesorgt.
Raststätten, an denen schnelles Essen zu überteuerten Preisen angeboten wurde, waren noch nicht erfunden.
Tankstellen, an denen bedient wurde, gab es dafür.
Der Tankwart selbst befüllte den leergefahren Tank mit Benzin, während wir unser köstliches Picknick hielten.
Selbst gebratene Schnitzel, hart gekochte Eier, Tomaten, erste Augustäpfel und belegte Brote waren unser Mahl und so vorzüglich in der Vorfreude schmeckend, dass ich diese Angewohnheit ins Heute mitgenommen habe und gegen keinen – die Mühe der Vorbereitung ersparenden – Imbiß eintauschen würde.

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Mit der Dauer der Fahrt, sank die Geduld von uns Kindern und wir quengelten.
Dann begann meine Mutter Lieder zu singen, mein Vater stimmte ein und wenn sie keine Lust mehr hatten, sang ich allein weiter.
„Du bist unser Autoradio“ scherzte meine Mutter dann, denn ein solches hatten wir natürlich nicht.
Es hat uns nicht gefehlt. Mein Vorrat an Liedertexten war schon damals erstaunlich. Er entstammt meiner kindlichen Vorliebe stundenlang und gern allein, meine Mutter arbeitete derweilen in der Praxis meines Vaters, die gleich neben dem Wohnzimmer lag – nur durch eine dünne Tür waren wir also getrennt –  Schallplatten zu hören.

Und endlich, endlich waren wir da.
Die Koffer abgestellt und runter an den Strand.

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Mein Vater liebte das Meer so wie ich es tue.
Der weiche Sandboden unter den dahin eilenden Füßen ließ es schon ahnen.
Der salzige Wind brachte seinen herb-frischen Geruch und mit einem Schlag war es zu sehen. Hinter Kiefern rollte es in sachten Wellen, möwenkreischend und mit leisem Donnern auf uns zu.
Das große, weite Meer… so groß und so weit, das sein Ende hinter dem Horizont lag.
Überwältigende Naturkraft voller Schönheit und Leben.

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Die Sachen vom Leib gerissen und hineingerannt, eingetaucht in salziges Grün, umspült von den Schaumkronen der Wellen, unglaublich frei.

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Meine Mutter hält mir heute noch vor, was ich damals lauthals und ständig, auch noch mit schon blaugefrorenen Lippen und am ganzen, dünnen Kinderkörper klappernd, schrie:
„Ich will in’s Wasser.“

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Geändert hat sich in all den Jahren, die seit damals vergangen sind, nur ein Wort. Und das auch nur der Jahreszeit wegen, die ich – große Menschenmengen gern meidend –  bewusst wähle.

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„Ich will an’s Wasser.“

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Ich bin da.
 

Erinnerungen und ein abgelassener Teich

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Auch wenn es so aussieht, nein, das ist kein Bild ländlicher Idylle.
Was hier anmutet wie eine Auwiese vor einem Waldstück ist in Wahrheit ein Teich.
Ein abgelassener Teich.
Der Schilfteich.

War ich bei den Großeltern, war mir jeder Tag ein Fest.
Alle Freiheiten genießen durfte ich und die Großmutter kochte nur, was ich gern aß.
Zusätzlich dazu gab es im Sommer allerorten kleine Feste, die auch rege besucht wurden. Da gab es nichts. Wer arbeitet, soll auch feiern. Und die Kinder sollen sowieso fröhlich sein – das Leben ist noch hart genug. So dachten meine Großeltern und danach handelten sie. Zu meinem Glück.
In den verschiedenen Gartenanlagen gab es Gartenfeste. Jedes wurde von einem Lampionumzug der Kinder gekrönt. „Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir. Dort oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir. Mein Licht ist aus, ich geh nach Haus…rabimmel,  rabammel,  rabum. “
Wie oft meine Vollmondlaterne aus Papier abbrannte und erneuert werden musste weiß ich nicht mehr. Gebrannt hat sie immer, manchmal eben auch im Ganzen, das gehörte dazu.
Selbstverständlich besuchten die Kleingärtner der unterschiedlichen Anlagen einander zu den Festen. Wer weiß, vielleicht – nein eigentlich ganz sicher – waren die eigenen Tomaten doch die schönsten.
Wenn kein Gartenfest war, konnte man den Sommersamstagabend am Schilfteich verbringen, der – wie könnte es anders sein – direkt an eine Kleingartenanlage grenzte. Durch einen kleinen Tunnel gelangte man an das weitläufige Ufer der in der Nähe fließenden Zschopau und in dieser schönen Gegend lag der kleine Teich. Weiter am Fluss entlang spazierend kommt man zu einem – an ihm gelegenen – Freibad. Doch so weit mussten wir für unsere Vergnügen gar nicht laufen. Denn… da war ja unser Teich. Sein mit Schilf begrenztes Ufer gab ihm seinen Namen. Mein Großvater war ein großer Freund von Schilf und Rußbutten, immer hat er meiner Großmutter Sträuße davon für ihre hohe Vase mitgebracht. Und auch im Garten hat er versucht es anzusiedeln, genau wie er das mit Moos probierte. Würde er heute meinen dichten Schilfbusch sehen, wäre er zufrieden und im Schatten der inzwischen hoch gewachsenen Bäume im hinteren Teil des Gartens findet sich auch sein geliebtes Moos – grün und weich wie kein Samtkissen es sein kann.
Von hohen Bäumen begrenzt lag auch der vordere Teil des Teiches im Schatten und dort fanden sich zwei Buden. In einer gab es Bier, Limo und Bockwurst und in der anderen befand sich der Verleih der Ruderboote, die am Teichufer darauf warteten, fröhliche Großväter mit ihren sie dafür abhimmelnden Enkeltöchtern aufzunehmen. Eine kleine Rudertour bis zur Teichinsel, die Hände durch das grünschillernde Wasser gleiten lassen und dann zurück zu den anderen, die am Ufer auf den Bänken sitzend warteten. Eine Gartenkantine mit einfachsten Mobilar und offenem Fenster zum Straßenverkauf bot Hausmannskost. Wir haben dort Strammen Max – das sind Spiegeleier auf Schinkenbrot – oder warmes Eckchen – Scheiben von Schweinebraten auf Brot, das von der darübergegossenen Soße herrlich aufgeweicht wird – gegessen. Viele Male.
Später war ich dann mit meinem Mann dort.
Manchmal war abends Tanz. Ein kleines Podium wurde geschmückt mit farbigen Glühbirnen, mehr brauchte es nicht.
An den Schilfteich zu laufen – undenkbar für meinen Großvater war eine Strecke von ca. einem Kilometer mit dem Auto zu fahren , sein Vater war viel mehr Kilometer täglich zur Arbeit gelaufen – zählte zu den Lieblingsunternehmungen meines Großvaters. Die Familien feierten dort zusammen kleine Feste, in der Gaststätte wurden größere Familienfeiern ausgerichtet und über alles wachte der Schilfteich und bot Abwechslung für uns Kinder, die wir so leicht dem steifen Stillsitzen entfliehen konnten. Steif blieb es in der Kantine nie lange. Ein Glas Wein löst die Zunge, die Liebsten sind alle aufeinander, macht nichts…wird es drinnen zu eng oder es gibt Unterhaltungen denen man lieber entflieht, flüchtet man an den Teich. Nicht wie heute um draußen zu rauchen, das war ja auch in der kleinen Kneipe möglich, sondern um am Teich zu stehen, auf’s Wasser schauend zu träumen, sich heimlich zu küssen…um all die schönen Dinge also zu tun, zu denen ein Sommerabend im Freien verlockt.
Eine Weile nach der Wende gab es den Teich und die Gaststätte an ihm noch. Als Reisen in den Schwarzwald und nach Bayern lockten, Inseln ständige Sonne versprachen, wurden vielen die einfachen Stühle zu unbequem. Ohne Gäste hat ein Lokal keinen Sinn und kein Auskommen und so schloss es.
Seit diesem Jahr ist das Wasser des Teiches abgelassen, aus hygienischen Gründen…
War das in früheren Jahren so, gingen der Großvater und ich zum schauen hin, so ein Ereignis durften wir uns nicht entgehen lassen. Vielleicht war im Schlick noch ein Fisch…oder wer weiß, was man alles verpasste…also hin.
Die Hoffnung,  dass ich in den nächsten Jahren mit meiner Schaukelinhaberin dorthin spazieren werde habe ich.
Fest.

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Erinnerungen an Rosenranken oder Rosenblüten und der Tee daraus

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Im Haus meiner Großeltern wohnend, lebe ich mit all meinen Erinnerungen unter einem Dach.
Sorgenfreie Tage habe ich bei den Großeltern verbracht. Ohne ihre Liebe wäre ich – da mein Vater starb, als ich 6 Jahre alt war – ein noch mehr in sich gekehrtes Kind gewesen, als ich sowieso von Natur aus war.
Das Haus und der Garten meiner Großeltern waren mir Zuflucht. Viele Wochenenden und fast die gesamte Ferienzeit habe ich hier verbracht. Der Garten war damals ein anderer als heute. Nicht besser oder schlechter – einfach ein anderer. Dort wo heute unsere  Terrasse liegt und weiter bis zum Apfelbaum erstreckte sich eine kleine Erdbeerplantage,  die den meisten Raum im Garten einnahm. Die Früchte verkauften meine Großeltern an einen befreundeten Konditor und besserten damit ihr Einkommen auf. Immer durften meine Schwester und ich davon naschen so viel wir wollten, dafür mussten wir beim ernten helfen. Ich erinnere mich noch an das abgrasen der Pflanzen und an die Lieblingssorte meines Großvaters – Mieze Schindler.
So war der Garten eher ein Nutzgarten, der aber von Blumen eingerahmt wurde. Am Ende des Erdbeerfeldes wuchsen unzählige Tulpen und es gab auch ein Rosenbeet. Meine Großmutter versuchte Rosen selber zu veredeln und hatte ihre Freude an den duftenden Schönen. Immer wollte sie mir die Unterschiede zwischen den Rosen lehren, traf aber nicht auf offene Ohren. Den Rosenstöcken konnte (und kann es bis heute nicht) ich nichts abgewinnen.
Meine Liebe galt der Kletterrose. Dunkelrot – mit unzähligen, immer nachfolgenden Blüten – stand sie an der Hausmauer und kletterte an ihrem Gestell und wuchs und wucherte so lange, bis sie im Bogen über die Haustür rankte und den Eingang des kleinen Hauses für mich in den Eingang eines Märchenschlosses verwandelte. Auf den sommersonnenwarmen Stufen der Steintreppe habe ich oft gesessen und in den Abend geträumt.
In einem kalten Winter sind diese Zweige erfroren, meine Großmutter schnitt die Rose zurück, sie hat sich jedoch nie wieder erholt und ist später eingegangen und auch nicht ersetzt worden. Meine Großeltern wurden alt, mein Großvater starb und meine Großmutter blieb allein mit dem für sie viel zu großen Haus und Garten zurück. Mit ihrer ganzen Kraft hat sie versucht es zu erhalten.
Später sind wir mit unserer kleinen Tochter zu ihr gezogen. Bald kam unser Sohn dazu und wir hatten andere Sachen im Kopf als den Garten. In den letzten Jahren haben wir ihn nach unseren Wünschen zu einem Ort des ausruhens gestaltet, der immer noch viele Stellen hat, die verändert werden wollen. Kommt Zeit, kommt Rat…
Seit dem vorigen Jahr habe ich auch wieder eine Kletterrose, nicht mit den roten Blüten der Kinderzeit, sondern weiß rankt sie an der Tür zum Garten. Ein Eingang den es früher gar nicht gegeben hat, der Gärtnergatte hat ihn später eingebaut und so sitze ich wieder auf den sommersonnenwarmen Stufen – die nun aus Holz sind – und träume im Schutz der Kletterrose in den Abend.

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Rosenblüten riechen nicht nur betörend sie haben auch Heilkräfte. Hauptsächlich werden für medizinische Zwecke die Blüten zweier Sorten verwendet.
Einmal die Rosa gallica – die Essigrose und zum anderen die Rosa centifolia – die Kohlrose.
Die Rosa centifolia wird auch Provenzrose genannt.

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Am Gartenzaun habe ich noch von den Großeltern her eine Pflanze stehen, die auch immer noch in jedem Jahr blüht.
Mit ihren gefüllten Blüten ist sie hinreißend schön und von lieblichem Duft. Centifolia bedeutet hundertblättrig und aus den hunderten von Blütenblättern lassen sich die feinsten Sachen herstellen. Rosenöl und Rosenwasser, sowie die köstlichste Rosenkonfitüre – die aus einem Sirup der Blätter gefertigt wird. Im Winter zum Tee gereicht, bringt sie den Sommer in die Gedanken und damit direkt zurück.
Für meine Teeleidenschaft besonders geeignet sind die Blütenblättern der Rosa gallica – der Essigrose.

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Die intensiv duftenden Blüten findet
man am Wegesrand und auch in vielen Gärten. In meinem habe ich eine weiße – eine Rosa alba semiplena – die wie die beiden anderen Rosensorten zu den alten Rosen zählt.

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Sie erinnert mich an die englischen Rosenkriege. Die weiße Rosa alba semiplena als Zeichen des Hauses York und die margentarote Rosa officinalis (die sogenannte Apothekerrose) als Symbol des Hauses Lancaster. Das aber ist eine andere Geschichte.
Bis Anfang des 17.Jahrhunderts gab es ungefähr ein Dutzend Sorten dieser Rose. Heute kennen wir über tausend.
Gesammelt werden die Blütenblätter während der vollen Blüte.
Sie haben Gerbstoffe und ätherische Öle in sich und helfen damit ausgezeichnet bei Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenbereich.
Gerbstoffe verbinden sich auf der Schleimhautoberfläche mit Proteinen unauflöslich. Dadurch verändern sich die Eiweiße – sie denaturieren. Dies bewirkt ein zusammenziehen des Gewebes, das im allgemeinen mit adstringierende Wirkung bezeichnet wird. Es entsteht eine Schutzschicht auf der Schleimhaut, die Krankheitserreger abhält und Entzündungen verhindert. Wir spüren das als pelziges Gefühl im Mund.
Das ätherische Öl der Rosenblüten besteht zu 20 – 55% aus Citrinellol und zu 15 – 40% aus Geraniol, es hemmt das Wachstum von Bakterien und Pilzen und unterstützt so die heilende Wirkung.
Die Volksmedizin verwendet Rosenblütentee innerlich bei Durchfall, Tuberkulose, Atemwegsentzündungen, Astma und Blutungen. Äußerlich wird er angewandt bei schlecht heilenden Wunden und Lidentzündungen.
Rosenblüten sind also keinesfalls nur eine Schmuckdroge im Tee.
Einen kleinen Vorrat für meine Teemischungen habe ich mir gesammelt.

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Inzwischen sind sie getrocknet und noch immer verströmen sie ihren wunderbaren Duft, der allein schon in der Lage ist trübe Stimmungen zu vertreiben.

Wandelhaftes

Wir haben zu Hause die Decken stibitzt. Mit ihnen polsterten wir die Höhle aus, die wir in die Erde gruben.
Tief.
Zumindest aus unserer Sicht.
Schokoladenplätzchen, kleine flache Taler mit bunten Zuckerstreuseln darauf, sind unser Proviant.
Am Tümpel, 10 Meter weiter, stehen im Herbst Rußbutten. Ihre schwankende Schönheit ist uns egal, wir rauchen sie als Zigarren. Hinterher ist mit tagelang schlecht. Meine Großmutter versucht besorgt den Grund zu erforschen, ich halte durch. Verpfiffen wird nicht. Ihr Blick ist verstehend, sie liebt mich sehr.
Egal, wie das Wetter ist, wir sind immer hier. Also ich nur in den Ferien, wenn ich bei den Großeltern bin. Die Jungs haben’s gut, sie wohnen in der Nachbarschaft. Hier wohnen nur Jungs, ich bin das einzige Mädchen und auch noch ein Ferienkind. Macht nichts, abschütteln lasse ich mich selten.
Hinter unserer Höhle liegt der Bach und der Wald und dazwischen nichts als Freiheit.
Mitte der 70er kommen die Bagger.
Unsere Höhle wird platt gemacht.
Ein Freibad ist geplant. Gebaut wird nur das Nichtschwimmerbecken, dann ist das Geld alle.
Was hatten wir für Freude an ihm.
Den Erwachsenen war es zu klein, es wurde zum Bad der Kinder. Zu unserer „Pfütze“.
Bei Gewitter packten wir uns und unsere Siebensachen und suchten Obdach unter den vorgezogenen Dächern der Kabinenzeile. War der Regen vorüber, liefen wir so schnell wir konnten in das Wasser, das uns nun von südseehafter Wärme schien. Wir rutschten, Arschbombenspritzer verteilend, durch den Sommer. Als ich dafür zu alt wurde, sprangen meine Kinder für mich.
Ende der 90er wurde das Bad platt gemacht.
Das Geld war alle.
Seitdem steht das Gelände leer, wird langsam wieder eins mit dem Wald und der Auwiese, der es entrissen wurde. Spricht schon wieder in ihrer Sprache der Vögel und Kröten. Atmet den grünen Duft der Wiesen aus.
Kein Kind in Sicht,  weder auf der Erde noch im Wasser.
Seit kurzem wird gebaut.
Mehrere Holzblockhäuser. Alle im zukünftigen Besitz einer weitverzweigten Familie, die dort, wo wir unsere glücklichste Zeit verbrachten, ihr Domizil errichtet.
Ich wünsche ihnen viele Kinder und denen unser glückliches lachen.

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Heimatstadt

Manchmal muss ich sie wieder gehen.
Die Wege der Kindertage.
Anders als nur in Gedanken.
Den alten Schulweg entlang, der über Jahre zum Alltag gehörte.
Am Schreibwarenladen vorbei.
Als ich dort meine Schreibhefte kaufte, kostete ein Heft ungefähr einen Groschen.
Was ein Groschen ist? Ein Geldstück das dem Wert von 10 Pfennigen entspricht. 10 Groschen ergaben eine Mark.
Im Laden war eine große, dunkle Holztheke, wie der ganze Raum im Halbdunkel lag. Die dahinter liegenden Regale waren gefüllt mit allen möglichen und unmöglichen Dingen.
Niespulver zum Beispiel. Eine Zeitlang war man völlig out,  wenn man nicht im Besitz der kleinen, weißen Plastikdose war.
Wozu wir es brauchten, ich weiß nicht mehr, zum Albern sein.
Und out war auch niemand, das Wort gab es gar nicht in unserem Sprachgebrauch.
In der Mitte der Regale im Schreibwarenladen, der diese und noch viele andere Schätze führte – meine Alice Bücher hatte mir mein Stiefvater auch dort gekauft – war eine Tür.
Wie aus dem Nichts erschien durch sie die Inhaberin, wenn man in den Laden trat, es muss ihr Wohnzimmer gewesen sein.
Wer wohnt heute noch in seinem Laden?
Noch ein paar Schritte weiter, der Süßwarenladen.
Mein Freitagsziel. Ich bekam Freitags eine ganze Mark und habe sie sofort umgesetzt.
Noch heute weiß ich, wie es in dem Laden roch. Nach Zucker und reifen Äpfeln.
Obwohl es kein Obst gab – oder doch, ich erinnere mich nur noch an die Süßigkeiten genau – aber auch hier verschwand die Inhaberin hinter einem Vorhang, der, wie ich vermute, ihr Wohnzimmer oder ihren Pausenraum verbarg. Manchmal musste ich ein wenig warten, bis sie kam. Dann war ich allein mit den Schätzen. Wundervoll!
In großen Gläsern gab es kleine Karamellen in Fischform, die liebte ich sehr. Mit einer kleinen, silberhellen Schippe wurden sie in eine am unteren Ende spitz zulaufende Papiertüte gefüllt. Was für ein herrliches Geräusch!
Später gab es in bunten Papiertüten Bleistifte aus Zucker.
Vorrätig waren immer Teddybären in gelb, rosa und grün aus Schaumzucker, 10 Pfennige ( einen Groschen also ) das Stück.
Ziehpfatsche nannten wir sie, weil man sie lang ziehen konnte, wenn man sie im Mund hatte und mit den Zähnen den Kopf fest hielt, dem Geschmack tat das keinen Abbruch.
Manchmal kaufte ich auch eine Rolle Drops mit Anisgeschmack. Ob es die noch gibt?
Oder Pfefferminzstangen, eine Seite weiß, eine Seite rosa?
Köstlich.
Hinter der weiß gestrichenen Theke sehe ich die grauen Löckchen der Inhaberin hervor leuchten.
Klein wie ich war,  erschien sie mir sehr groß.
Sie hatte mich und meine beschleiften Zöpfe sehr in’s Herz geschlossen.
Auf Anfrage konnte ich alle Märchen meiner Schallplatten wortgetreu und mit verstellter Stimme wiedergeben.
Glückliche Tage waren das.
Hier in der kleinen Gasse meiner alten Heimatstadt.

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