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Sonntagsmärchen

Johann Wilhelm WolfDeutsche Hausmärchen, 1858

Die getreue Frau

Ein König hatte eine Tochter, die war überaus schön und klar und hatte eine gar feine und zarte Haut; wenn sie rothen Wein trank, konnte man sehen, wie er ihr durch den Hals herunter lief. Die Welt war so erfüllt mit dem Ruf von ihrer Schönheit, daß selbst des Sultans Sohn aus der Türkei kam und um ihre Hand anhielt. Sie wollte jedoch nichts von ihm wissen und sprach, sie wolle keinen Heiden heirathen, der sei ihr zu schlecht nur ihre Schuhe zu putzen.
Zu gleicher Zeit lebte in einem andern Königreich ein König, welcher drei Söhne hatte. Da er nicht wußte, welchem von ihnen er nach seinem Tode das Königreich übergeben solle, so sprach er: ‚Gehet auf Reisen und wer von euch mir das Schönste mitbringt, der wird König.‘ Sie zogen sofort aus, doch gereute es sie schon am dritten Tage und die beiden Jüngsten sprachen zum Aeltesten: ‚ Lieber Bruder, gehe du nach Hause zurück und tritt die Regierung an, wir wollen in die Welt hinaus ziehen und sehen, wo unser Glück blüht.‘ Sprach der Aeltere: ‚Ich kann euch nicht ziehen lassen, wenn ihr mir nicht versprechet, treu zusammen zu halten in Freud und Leid und euch nicht von einander zu trennen, auch sobald ihr euer Glück gefunden habet, zurück zu kommen, damit ich mich mit euch darüber freue.‘ Darauf gaben sie sich die Hände und schieden von einander.
Nach langem Reisen kamen sie in das Königreich, wo die schöne Prinzessin wohnte. Da gefiel es ihnen so gut, daß sie beschlossen, dort zu bleiben, der eine wollte den Seedienst lernen, der andere unter die Landarmee treten. Da sie so schöne Leute waren, nahm der König sie alsbald an und sie waren so gewandt und geschickt, daß sie in kurzer Zeit der eine Major und der Jüngste Oberst wurden. Sie hatten so viel Geld von Hause mitgenommen, daß sie nicht zu knausern brauchten und ein herrliches Leben führen konnten. Da war kein Mangel an Dienerschaft und Pferden und Wagen; jeden Tag fuhren sie um Mittag aus und jeden Tag der Woche in einem andern Wagen mit sechs andern Pferden und andern Bedienten. Sie kamen dabei stets an dem Schlosse des Königs vorüber, und da wurde die schöne Prinzessin aufmerksam auf sie und kam jedesmal an das Fenster. Das bemerkten die zwei Prinzen bald, aber sie merkten nicht, wie die Liebe nach und nach in dem Herzen der Prinzessin Platz nahm und sie endlich nicht mehr ruhen ließ bei Tag und Nacht. Der Jüngste der beiden Prinzen, welcher auch der schönste war, gefiel ihr nämlich so gut, daß sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können; sie mochte es aber Niemand sagen, denn sie war gar stolz und da sie Alles so in sich verbergen mußte fiel sie zuletzt in eine schwere Krankheit. Alle Aerzte im Lande mußten herbei, doch ihre Arzneien halfen nichts und es wurde von Tag zu Tage schlimmer mit ihr. Da ließ sich endlich ein uralter Mann am Hofe melden, der hatte sein ganzes Leben hindurch die Welt bereist und kannte alle Kräuter; er hatte einen Trank ausgefunden, der jede Krankheit auf der Stelle heilte, wenn sie auch noch so gefährlich war. Der König führte ihn zu der Prinzessin und kaum hatte der Alte sie gesehen, so sprach er: ‚Ich kann ihr helfen, aber ich muß mit ihr allein sein.‘ Als der König fortgegangen war, gab ihr der Alte einen stärkenden Trank, dann sagte er: ‚Ihr habt kein körperliches Leiden, sondern eine Herzenskrankheit und ich kann euch nur helfen, wenn ihr mir aufrichtig bekennt, was euch drückt.‘ Anfangs wollte die Prinzessin nicht mit der Sprache heraus, aber der Alte wußte ihr Vertrauen so zu gewinnen, daß sie ihm endlich Alles bekannte, doch bat sie ihn, er solle sich nur nichts davon merken lassen.
Da ging der Alte zum König und sprach: ‚Ich habe die Krankheit wohl überwunden, aber es bleibt noch eine Schwäche zurück. Wenn die Prinzessin jetzt viel Leute sieht und die rechten Leute, die ihr schön zu erzählen und sie zu unterhalten wissen, dann ist die Schwäche auch bald gehoben, denn dann denkt sie nicht darüber nach.‘ ‚Wen will sie denn sehen?‘ frug der König. ‚Von all meinen Hofherren will sie nichts wissen.‘ ‚Wen, das weiß ich nicht,‘ sprach der Alte, ‚aber es sind zwei vornehme Herren in der Stadt, einer ist Major und der andre Oberst; die könntet ihr einladen.‘ Der König freute sich des guten Rathes und sandte sogleich einen Bedienten zu den beiden Prinzen, um sie zum Mittagessen einzuladen. AIs der Bediente seinen Auftrag ausrichtete, gaben die Prinzen ihm keine Antwort; sie sagten zu dem Wirth, er solle ihnen das Essen wie jeden Tag bereit halten. Sie aßen wie immer zu Mittag, dann fuhren sie nach Gewohnheit aus und an dem Schlosse des Königs vorbei. Als der König das sah, fuhr er den Bedienten an, er habe wohl die Einladung nicht gehörig ausgerichtet, doch der sagte, das sei geschehen, die Herren hatten ihm aber keine Antwort gegeben. Da setzte sich der König des andern Morgens in seinen Wagen und fuhr selber zu den Prinzen, lud sie zu sich zu Tische und frug auch, warum sie am vorigen Tage nicht gekommen seien. ‚Man kann auf anderer Leute Reden nicht gehen,‘ sprachen sie. ‚Wenn wir so etwas auszurichten haben, thun wir es selbst.‘ Das freute den König, denn er dachte, da sie so stolz seien, müßten sie wohl von vornehmer Herkunft sein und er frug sie, wer sie denn eigentlich seien? Als er nun ihre Abstammung vernahm, da war er gar außer sich vor Freude und sprach, sie dürften nicht mehr in dem Wirthshaus wohnen, sondern müßten in seinen Pallast ziehen. Dieß geschah noch am selben Tage und Niemand war glücklicher darüber, als die schöne Prinzessin. Als der Jüngste sie nun so jeden Tag in ihrer ganzen Holdseeligkeit sah, da erwachte auch in seinem Herzen die Liebe zu ihr und da war es nicht weit mehr bis zur Verlobung und die Vermählung ließ auch nicht lang warten; also wurden die Beiden das glücklichste Paar auf Gottes Erdboden.
Ein paar Jahre hatten sie also beisammen gelebt, da sprach der Aeltere: ‚Lieber Bruder, ich habe den Seedienst nicht umsonst gelernt und kann es auf dem Lande nicht länger aushalten. Zudem finde ich hier mein Glück nicht, darum muß ich es anderswo suchen und will nächstens mit einem Schiffe gegen die Seeräuber ziehen.‘ ‚Thue das nicht,‘ sprach der Jüngste, ‚du weißt doch wohl, daß wir unserm Bruder versprochen haben, nicht von einander zu weichen in Freud und Leid, laß uns darum Wort halten und treu zusammen bleiben. Wenn du dein Glück finden sollst, dann kannst du es hier so gut finden, wie in einem andern Welttheil.‘ Der Aeltere bestand aber darauf, er wolle fort, da sprach der Jüngere: ‚Wenn du gehest, dann kann ich nicht bleiben, denn ich hatte mein Versprechen, wie hart es mir auch ankommt.‘ Und er ging zu seiner Frau und sprach: ‚Binnen acht Tagen verreise ich mit meinem Bruder, um ein wenig die Welt zu sehen; in Jahresfrist sind wir aber wieder zurück.‘ Ach wie da die arme Prinzessin weinte und jammerte; es brach ihm fast das Herz, doch er ließ sich in seinem Entschluß nicht irre machen, denn sein Wort war ihm allzu heilig. Als nun die Schiffe zur Abfahrt gerüstet da lagen, zog der Prinz sein Schwert und gab es seiner lieben Frau, indem er sprach: ‚Behalte dieß Schwert als ein Zeichen von mir; so lange es blank bleibt, geht es mir gut, und so lange du keinen Rost oder Flecken darauf siehst, bin ich dir getreu und das bleibe ich bis in den Tod.‘ Da gab ihm die Prinzessin ihr schneeweißes Gewand und sprach: ‚Dafür schenke ich dir diesen Mantel als ein Zeichen von mir; so lange er weiß bleibt, so lange bleibt meine Treue unverletzt.‘ Da küßten und umarmten sie sich unter vielen Thränen und die beiden Brüder gingen zu Schiffe. Die Prinzessin aber schaute ihnen noch lange nach, bis die weißen Segel fern auf dem Meer verschwanden.
Als sie etwa acht Wochen auf dem Meere waren, da kamen eines Morgens drei Schiffe mit Seeräubern gefahren, welche für den Sultan Beute machten. Die umzingelten das Schiff, worauf die beiden Brüder sich befanden und machten sie und alle Andere, welche mit ihnen fuhren, zu Gefangenen. Am folgenden Tage wurden sie vor den Sultan geführt. Als der ihre reichen und prächtigen Kleider sah, freute er sich über den Fang und frug sie, woher sie kämen und wer sie seien. Da erzählten sie ihm ihre Geschichte und baten, er möge sie doch wieder frei geben, sie wollten ihm schweres Geld senden, so viel, als er verlange. Jetzt war aber seine Freude erst recht groß, als er hörte, daß einer von ihnen der Gemahl der Prinzessin sei, welche ihn so schimpflich abgewiesen hatte, und er sprach: ‚Ich gäbe euch nicht um alles Gold auf der ganzen Welt, denn ich will mich an euch dafür rächen, daß die Prinzessin meinen Thron verschmäht hat; jetzt wird sie aber wohl zahm werden. Ihr seit Hunde und sollt bei den andern Hunden sitzen und mit ihnen fressen und schlafen.‘ Da ging ein trauriges Leben für die Brüder an und hundertmal beklagte der Aeltere, daß er seinem Bruder nicht gefolgt und ihn auch ins Unglück gestürzt hätte. Jeden Tag mußten sie die schimpflichsten Arbeiten verrichten; dazu bekamen sie kein anderes Essen, als die Brocken, welche vom Tische fielen, denn sobald die Glocke zum Mittagessen läutete, mußten sie mit den Hunden in das Speisezimmer laufen und sich unter den Tisch setzen. Die besten Brocken schnappten die Hunde ihnen dazu noch weg, so daß sie manchmal bittern Hunger litten. Oft mußten sie sich auch vor den Sultan legen, der alsdann seine Füße auf sie setzte und sie trat und schimpfte, wenn sie sich nur rührten. Das Schlimmste war ihr Lager im Hundestall, der sehr unrein war und nie gefegt werden durfte. Darum mußte der ältere Bruder jeden Morgen seine Kleider sämmtlich waschen, der jüngere hatte dieß jedoch nicht nöthig, denn an dem Gewande seiner Frau, welches er beständig trug, blieb kein Stäubchen hängen und es war immer schloßenweiß, wie der frischgefallene Schnee; das war sein einziger und größter Trost in diesen schweren Tagen.
Die Prinzessin hatte unterdessen fleißig nach dem Schwerte geschaut und war von Herzen froh, daß es stets so hell und blank blieb. Eines Morgens aber, als sie es erfreut darüber in der Hand hielt und betrachtete, lief ein trüber Hauch darüber und wie sie auch putzte und wischte, er wollte nicht weichen. Da ergriff ein schwerer Kummer ihr Herz, denn sie erkannte nun, daß ihrem lieben Gemahl ein Unglück begegnet sein müsse, und sie beschloß ihm nachzureisen, um ihn zu retten, koste es, was es wolle.
Als sie sich eben zur Abfahrt rüstete, kamen Boten in das Schloß, welche ihr meldeten, daß der Sultan aus der Türkei angekommen sei, der wolle zu ihr, da er viel mit ihr zu sprechen habe und wolle gegen Abend kommen. Sie ließ ihm wieder sagen, er könne kommen, jedoch nicht zu einer andern Zeit, als zwei Stunden vor Mittag und sechs Stunden nach Mittag. Es dauerte nicht lange, da war er schon im Schlosse, trat mit heimtückischer Freude in ihr Zimmer und sprach: ‚Vor Zeiten habet ihr meine Hand verschmäht, um euch mit einem armen Königssohn zu versprechen und den zum Gemahl zu nehmen. Der sitzt jetzt als Hund unter meinem Tische bei den andern Hunden und frißt die Brocken, welche herunter fallen. Ich habe euch aber immer noch lieb und frage euch, ob ihr jetzt meine Frau werden wollt und die mächtigste Fürstin auf der Welt. Bedenket, daß ihr ein solches Glück euer Leben lang nicht wieder findet, denn ihr bekommt die größten Schätze, die je Augen sahen und es ist kein Wunsch, der euch nicht sofort erfüllt würde.‘ Die Prinzessin meinte vor Schmerz zu vergehen, als sie hörte, wie der Sultan von ihrem lieben Manne sprach, und welch ein schreckliches Loos demselben zu Theil gefallen war. Sie faßte sich jedoch und sagte: ‚ Eure Gemahlin kann ich nie werden und wäret ihr selbst Kaiser der ganzen Welt,‘ und sie ging schnell in ihr Kämmerlein und ließ ihn stehn. Dort weinte sie sich recht aus, dann aber warf sie sich auf ihre Kniee nieder und betete zu Gott, er möge ihr Kraft und Muth in ihren Leiden geben und ihr Vorhaben segnen, damit sie ihren lieben Gemahl aus seiner schmählichen Gefangenschaft befreie. Gott erhörte ihr Gebet und stärkte sie so wunderbar, daß sie sich stark fühlte, Alles zu wagen und zu unternehmen.
Vor der Stadt lag eine Kapelle und ein Häuschen, da kehrten die Pilger ein, welche nach Jerusalem gingen. Dahin schickte sie ihre treueste Dienerin und ließ einem der Pilger seine Kleider abkaufen. Diese zog sie an, nahm ihre Harfe, welche sie meisterlich spielte, und ging Abends an den Strand, wo des Sultans Schiffe lagen. Da setzte sie sich hin, schlug ihre Harfe und sang: 

‚Was fehlet dir, mein Herz,
Daß du in mir so schlagest?
Wie kommt es, daß du dich
So heftig in mir regest?
Du störst bei finstrer Nacht
Mir alle meine Ruh,
Am Tag, bei finstrer Nacht.‘

Der Sultan, welcher grade auf seinem Schiffe stand, horchte auf und ließ den Harfner zu sich rufen, sprach: ‚Wie kommst‘ du zu diesen Liedern?‘ ‚Das sind so meine Träume,‘ antwortete der Harfner und sang weiter:

‚Es schlagen über mich
Die Unglückswellen her,
Ich schweb in Todesangst
Auf einem wilden Meer,
Die stört bei finstrer Nacht
Mir alle meine Ruh,
Am Tag, bei finstrer Nacht.‘

Dann fuhr er fort und sang in schönen Versen Alles, was dem Sultan mit der Prinzessin begegnet war. Da frug der Sultan abermals: ‚Wie kommst du zu diesen Liedern?‘ ‚Das sind so meine Träume,‘ sprach der Harfner. Da rief der Sultan erstaunt: „Du mußt mit mir ziehen, magst du dafür fordern, was du willst.‘ Hier kann ich nichts fordern,‘ sprach der Harfner. ‚Ich will aber mit euch ziehen und ein Jahr bei euch bleiben. Wenn es mir dann bei euch gefällt, bleibe ich, gefällt es mir nicht, so gehe ich, doch müßt ihr mir zuvor schwören, daß ihr mir drei Wünsche erfüllen und mich ziehen lassen wollt.‘ Da sprach der Sultan: ‚Ich gebe dir Alles, was dein Herz begehrt, das schwöre ich dir beim Feuer und meinem Bart,‘ und das ist der höchste Schwur, den die Türken thun. So blieb der Harfner auf dem Schiffe und fuhr am folgenden Tage frühmorgens mit dem Sultan ab. Dieser gewann ihn immer lieber wegen seiner wunderschönen Lieder, so daß der Harfner ihn endlich, wie man zu sagen pflegt, um einen Finger wickeln konnte und nichts begehrte, was nicht sogleich erfüllt worden wäre.
Als sie in dem Schlosse des Sultans ankamen, mußte der Harfner gleich am folgenden Tage bei der Tafel spielen und alle Gäste waren darüber außer sich vor Entzücken, nur nicht des Sultans Mutter, ein böses altes Heidenweib, welche stets nur Ränke und Böses sann und spann. Diese zankte fortwährend, wozu das Geleier diene und sie könne den Singsang nicht ausstehen, aber Niemand hörte auf sie und Alle wurden von Stunde zu Stunde lustiger. Als die Tafel fast zu Ende war, öffneten sich die Thüren und da kamen die Hunde und mit ihnen die beiden Prinzen herein, der Jüngere in seinem schneeweißen Gewand und sein armer Bruder. ‚Das sind Alles meine Hunde‘ sprach der Sultan und warf den Prinzen ein paar Brocken zu; doch da sprangen die andern Hunde herbei und schnappten sie ihnen weg. Der Harfner mußte sich sehr Gewalt anthun, als er dieß jammervolle Schauspiel ansah, aber er ließ sich nichts merken und sprach nur: ‚Mir scheint, ihr füttert eure Hunde schlecht, die beiden großen Menschenhunde sehen gar mager aus.‘ Dann warf er ihnen große Brocken hin, welche die beiden Prinzen gierig verschlangen, denn ein so reiches Mahl hatten sie lange nicht bekommen. Das ärgerte die alte Sultanin noch mehr, als sie aber darüber poltern wollte, fing der Harfner an zu singen und da ging sie voller Wuth weg. Aber auch der Sultan ärgerte sich darüber, darum stand er schnell von der Tafel auf, als das Lied zu Ende war. Zugleich kamen die Diener und schwangen ihre langen Peitschen, da wurde das Zimmer bald leer.

Am folgenden Tage sonnte sich der Sultan in seinem Rosengarten, wo die Sklaven arbeiteten, und er ließ den Harfner kommen, daß er vor ihm spiele. Da schlug er die Harfe gar schön und sang dazu:

‚Ich kam in kurzer Zeit
In einen schönen Garten,
Da sah ich also schöne stehn
Viel Blumen aller Arten;
Darunter sah ich eine Rose blühn,
Ich wollt, ich könnte sie für mich erziehn.

‚Das ist ein wunderliches Lied‘ sprach der Sultan, ‚aber sage mir nur welche Rose du meinst, ich will sie dir sogleich schenken.‘ ‚Ach das sind meine Gesänge so, ich habe keine von euren Rosen gemeint,‘ sprach der Harfner und fuhr fort:

‚Jetzt muß ich ganz betrübt
Aus diesem Garten gehn;
Niemand kommt fragen mich,
Wie es mir wird ergehn.
Die Unglückswellen fallen
Zu schwer über mich herein.‘

‚Welche Unglückswellen meinst du denn?‘ frug der Sultan und der Harfner antwortete: ‚Ach das sind meine Lieder so.‘ Da sprach der Sultan und wies dabei auf die beiden Prinzen hin, welche im Schweiß ihres Angesichtes graben mußten: ‚Kennst du die Hunde dort? die sind aus deinem Lande, gehe und sprich mit ihnen.‘ ‚Ich kenne sie nicht‘ erwiederte der Harfner, ‚aber ich bin auch nicht aus dem Lande, wo du mich gefunden hast, ich bin viel weiter her, will aber doch mit ihnen sprechen, ob sie meine Muttersprache verstehn.‘ Da ging er zu ihnen und machte allerlei Wischi waschi durcheinander daher, als ob er eine ganz fremde Sprache rede, doch die Prinzen sprachen: ‚Wir verstehen dich nicht‘ und das war ihnen nicht zu verdenken, denn das hätte kein Heidenkind verstanden. Der Harfner kam zum Sultan zurück und sprach: ‚Sie verstehen meine Sprache nicht, aber aus welchem Lande sind sie denn?‘ ‚Diese Hunde sind zwei Prinzen, welche ich gefangen halte, weil die Frau des einen meine Liebe verschmäht hat.‘ ‚Da geschieht ihnen recht‘ sprach der Harfner, ‚wenn sie aber mein wären, ließe ich sie feine Arbeiten machen, welches die andern Sklaven nicht können. Sie müßten mir schöne Körbe flechten, Käfige schnitzen und solche Dinge, womit ich mein Haus und meinen Garten verzierte.‘ Das sagte er aber, weil er wußte, daß die Prinzen solches in ihrer Jugend gelernt hatten und damit sie nicht mehr so harte Arbeit thun müßten. ‚Das ist ein guter Gedanke,‘ sprach der Sultan, ‚aber sie können es schwerlich.‘ ‚Es kommt auf eine Probe an,‘ erwiederte der Harfner. Da wurden ihnen Weiden und Messer und Holz gegeben und sie flochten und schnitzten so schön, daß der Sultan außer sich vor Freude war.
Mittags mußte der Harfner wieder bei Tische spielen und man setzte ihm ein reiches, kostbares Mahl vor, doch aß er nur sehr wenig davon. Als die Hunde aber herein gelassen wurden, da lockte er die zwei Prinzen zu sich und warf ihnen große Bissen zu. Das ärgerte die alte Sultanin und sie hetzte an dem Sultan und sprach: ‚Sieh doch, wie das gute Essen verschwendet wird. Es ist eine Schande, daß die Hunde es bekommen. Mach dem doch ein Ende.‘ Anfangs sprach der Sultan wohl, man solle den Harfner gewähren lassen, aber sie hörte nicht auf zu hetzen bis er ärgerlich rief: ‚Ich will nicht haben, daß du den Hunden dein Mahl gibst.‘ ‚Verzeiht, Herr Sultan,‘ sprach der Harfner, ‚die Hunde können nichts fordern, darum muß man ihnen geben. Wenn ihr aber nicht haben wollt, daß ich den armen Hunden eine gute Mahlzeit gebe, dann lasset mich in mein Vaterland zurück gehn.‘ Da schwieg der Sultan und ließ ihn gewähren.

Als aber jeden Mittag dieselbe Geschichte war, wurde der Sultan dessen endlich müde, denn die Alte sprach stets : ‚ Laß ihn nur laufen, er verdirbt dir die Hunde durch Leckerbissen und wer weiß, was er noch im Schilde führt. Den Christen ist nicht zu trauen.‘ Er sprach eines Tages: ‚Ich kann dem nicht länger zusehn, gehe sobald es dir geliebt.‘ ‚Dann will ich gleich morgen gehen,‘ sprach der Harfner und freute sich und lobte Gott in seinem Herzen. ‚Vorher aber müsset ihr mir euer Versprechen lösen und mir meine drei Wünsche gewähren.‘ ‚Thue das nur nicht, raunte die Alte dem Sultan ins Ohr, aber der sprach: ‚Ich muß es thun, denn ich habe es geschworen beim Feuer und meinem Bart. Sage mir, was du dir für drei Dinge wünschest und ich will sie dir gewähren.‘ Da that der Harfner, als ob er sich besänne und sprach alsdann: ‚Fürs erste wünsche ich mir den weißen Hund, (das war nämlich der Prinz, welcher das weiße Gewand trug) für’s zweite den andern Hund, welcher immer bei ihm ist und für’s dritte ein Schiff mit Geld und Mannschaft, um in mein Vaterland zu fahren.‘
Da machte der Sultan ein saures Gesicht, die Alte aber sprang und tanzte vor Wuth und rief: ‚Das geht nicht, die Hunde bekommst du nicht, du hast Hundes genug an dir selbst.‘ Der Harfner aber sprach: ‚Bedenket euren Schwur, Herr Sultan, ich verlange nur, was mir zukommt.‘ Der Sultan erwiederte: ‚Du forderst das Größte, was ich habe, aber da du mein Versprechen hast, sollst du Alles bekommen‘ und er ließ den Prinzen die Ketten abnehmen und sie auf das Schiff des Harfners führen. Der Harfner fiel ihm zu Füßen und dankte ihm für das Geschenk, doch der Sultan wollte nichts von Dank wissen und ging zornig weg.
Wer da glücklicher war, die Prinzessin d.f. Harfner, oder die beiden Prinzen, das ist schwer zu sagen. Gern hätten sie ihr für ihre Rettung gedankt, aber sie ging auf dem Schiffe nicht aus ihrer Kammer, ließ auch Niemanden zu sich herein, außer einem Mädchen, welches ihr das Essen brachte. Sie lag Tag und Nacht auf den Knieen und dankte Gott für alle Gnaden, welche er ihr erwiesen hatte, bat ihn, ihr ferner auch beizustehn und sie nicht zu verlassen in Leid und Freude. Das Schiff flog schnell über das Meer dahin und landete bald in einem Hafen ihres Königreiches. Da ging sie aus ihrer Kammer hervor und ließ die beiden Prinzen zu sich kommen. Sie wollten sich vor ihr auf die Kniee werfen, aber sie sprach: ‚Ihr brauchet mir nicht zu danken, danket Gott dem Herrn. Ich schenke euch eure Freiheit und Alles was im Schiffe ist, aber bevor ihr ans Land tretet, sollet ihr hier niederknieen und Gott die Ehre geben.‘ Da knieten die Prinzen und beteten inbrünstig, sie aber schlich sich unterdessen in ihren Harfnerkleidern leise fort und ging auf heimlichen Wegen der Hauptstadt zu.
Unterwegs traf sie einen Pilger, der ging desselben Wegs. Sie fragte ihn, was man sich Alles in der Stadt erzähle und wie es der Prinzessin ergehe. Der Pilger antwortete: ‚Man weiß nichts von ihr, sie ist weggegangen, seitdem der Sultan da war, und kein Mensch kann sagen wohin. Die Minister haben ihrem Vater aber gesagt, sie gehe auf schlechten Wegen und ihm so lange zugeredet, bis er an allen Straßenecken hat bekannt machen lassen, wer sie überliefere, der erhalte eine große Belohnung. Man will nämlich Gericht über sie halten und dann konnte es leicht ein schlechtes Ende mit ihr nehmen.‘ Die Prinzessin sprach: ‚Du kannst dir diese Belohnung verdienen, wenn du Alles thust, was ich dir sage, und du bekommst noch viel mehr dazu.‘ ‚Wie sollte das möglich sein?‘ frug der Pilger. ‚Ich bin die Prinzessin‘ sprach sie und verabredete sich mit ihm, was er zu thun habe. Dann ging sie mit ihm in das Haus vor der Stadt, wo die Pilger einzukehren pflegten und wechselte dort die Kleider; darauf band er sie und führte sie in das Gefängnis. 
Am selben Abend langten die beiden Prinzen gleichfalls in der Hauptstadt an und wurden mit großen Freuden empfangen. Das erste was der Jüngste aber sprach, war: ‚Wo ist meine liebe getreue Frau? ‚ Da traten die Minister zu ihm und antworteten: ‚Wir möchten lieber von ihr schweigen, aber da wir reden müssen, so müssen wir auch die Wahrheit sagen. Sie ist als eine feile Dirne im Lande herumgefahren und erst heute eingefangen und ins Gefängnis gebracht worden.‘ ‚Das ist nicht wahr‘ sprach der Prinz, ‚denn ihr Gewand ist so weiß, wie mein Schwert blank ist, darum kann ich es nicht glauben.‘ Da brachten sie aber Zeugen, welche aussagten, daß die Prinzessin zur Zeit wo der Sultan da gewesen, plötzlich verschwunden sei und daß Niemand sie seit dem Tage gesehen habe. Der Prinz sah sein Gewand an und es dünkte ihm weißer als je zuvor, doch da sprachen die Minister: ‚Das Gewand kann euch trügen, denn da sie so lange herumstreichen konnte, versteht sie sich gewiß auch auf Zauberkünste, darum darf man dem Gewande nicht trauen und dem Recht muß sein Lauf gelassen werden.‘ Der Prinz meinte, das Herz müsse ihm vor Leid zerspringen, als er das hörte, ach er hätte Alles so gern nicht geglaubt und er konnte doch am Ende nicht anders.
Am folgenden Tage wurde Gericht gehalten und da sich die Prinzessin gar nicht vertheidigte und kein Wort sprach, so wurde sie zum Tode am Galgen verurtheilt. Als der Tag herankam, wo das Urtheil sollte vollstreckt werden und man die schöne Prinzessin in groben Kleidern auf den Richtplatz führte, da war Trauer in der ganzen Stadt und wurde mehr geweint als gelacht. Auf dem Richtplatz war ein schwarzer Thron aufgeschlagen, worauf der Prinz saß, denn es war Sitte im Lande, daß Niemand hingerichtet werden durfte, als in Gegenwart des Königs oder eines Prinzen. Als er seine Frau sah, da brach er in Thränen aus, denn er glaubte immer noch sie müsse unschuldig sein und hielt sich beide Hände vors Gesicht, damit das Volk nicht sähe, wie bitterlich er weinte. Sie bat aber, man möge ihr nur eine Gnade schenken, bevor sie sterbe. Das wurde ihr zugesagt und sie sprach: ‚ Dann lasset mich einen Augenblick mit dem frommen Pilger, der dort steht, in dem Kapellchen allein beten und mich zum Tod vorbereiten.‘ Da schloß man ihr dies Kapellchen auf und sie trat mit dem Pilger hinein. Der hatte aber ihre Harfe unter seinem Mantel verborgen und auch die Kleider, in welchen sie vor dem Sultan gespielt und die beiden Prinzen erlöst hatte. Diese zog sie in der Sacristei rasch an, färbte ihr Gesicht und nahm die Harfe in die Hand. Also trat sie heraus und vor den Prinzen; der sah sie aber nicht, weil er so sehr weinte. Sie sang:

‚Kennst du den Harfner nicht,
Der dich ja hat erlöst?
Erlöset hat er dich
Aus Kerker und aus Banden
Und hat dich heimgebracht
Wol in dein Vaterland.

Ich falle nieder hier
Auf meine beiden Knie,
Ach du mein liebster Herr,
Verzeihe dieses mir,
Ich wollte dich ja nur
Für mich allein erziehn.‘

Als der Prinz die Stimme hörte und die Harfentöne dazu, hob er erstaunt sein Haupt, da erkannte er den Harfner und sprang von seinem Thron, um ihn zu umarmen und willkommen zu heißen. In demselben Augenblick aber warf der Harfner die falschen Kleider ab, da stand die Prinzessin da in ihrer ganzen Schönheit. Was das für Freude und Glückseligkeit war, das könnten tausend Schreiber in hundert Jahren nicht ausschreiben. Der Prinz erzählte vor allem Volke, daß er sein Leben einzig und allein seiner lieben Frau verdanke und da ging erst der Jubel recht los. Beide wurden im Triumph durch die Straßen der Stadt geführt und die Festlichkeiten wollten gar kein Ende nehmen.

Johann Wilhelm Wolf (1817-1855)

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Sonntagsmärchen

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Hausmärchen, 1858
Der Vogel Phönix

Es war einmal ein König und der war krank und alle Aerzte kamen darin überein, daß er nicht zu retten sei, als wenn er den Vogel Phönix singen hörte. Der König hatte aber drei Söhne, die rief er vor sich und sprach zu ihnen: ‚Wer von euch mir den Vogel Phönix bringt, dem schenke ich das ganze Königreich.‘ Da zogen sie alle drei aus und blieben zusammen, bis sie an einen Baum kamen, der an einem Kreuzwege stand. In den Baum schnitten sie alle drei ihre Namen hinein und verabredeten sich, wer zuerst zurückkehre, der solle an dem Baum warten, bis die andern kämen und sie alle zusammen zu ihrem Vater heim ziehen könnten. Dann ging jeder seines Wegs.
Als der erste ein Stück gegangen war, begegnete ihm ein Bär, der frug ihn: ‚Wohin geht die Reise?‘ – ‚Was geht das dich an, sprach der Prinz und zog seines Wegs weiter, aber der Bär brummte und ließ ihn gehn.
Der zweite war noch nicht weit, als ihm derselbe Bär begegnete und ihn frug: ‚Wohin geht die Reise ?‘ – ‚Kümmere dich um dich,‘ sagte der Prinz, ließ den Bären stehn und ging seines Wegs weiter. Der Bär brummte etwas in den Bart und ließ ihn laufen.
Dem dritten, welcher der Jüngste war, begegnete der Bär ebenfalls und frug auch ihn: ‚Wohin geht die Reise?‘ Da antwortete der Jüngling: ‚Mein Vater ist krank und kann nicht gesund werden, wenn er nicht den Vogel Phönix singen hört. Ich bin mit meinen Brüdern ausgezogen, ihn zu holen.‘ ‚Laß die andern gehn,‘ sprach der Bär, ‚und verlaß dich auf mich und setze dich auf meinen Rücken.‘ Das that er und der Bär fing an zu laufen, daß dem Jüngling fast Hören und Sehen verging; so lief er zwölf ganzer Stunden und kam gegen die Mitte der Nacht in einer schönen Stadt an. Da blieb der Bär stehn und sprach: ‚In dieser Stadt wohnt der König, der den Vogel Phönix hat. Geh nun in das Schloß hinein, such dir einen Dienst und sieh, daß du in das Vogelhaus dringest; da steht der Vogel Phönix in einem hölzernen Käfig und darin mußt du ihn wegtragen. Setze ihn nur ja nicht in einen andern, sonst bekommt es dir schlecht.‘ Der Prinz that, wie der Bär gesagt hatte. Er suchte sich am folgenden Morgen Dienst im Schloß und das Glück wollte ihm wohl und er wurde zum untersten Käfigputzer in dem Vogelhaus ernannt. Weil er aber seinen Dienst sehr gut versah, so rückte er schnell vorwärts und bekam immer höhere Stellen, bis er endlich nach dem Tode des obersten Vogelraths zum ersten Vogelrath ernannt wurde. Da dachte er, es sei nun Zeit, den Vogel Phönix zu rauben und als der König einmal auf der Jagd war, da ging er in das Vogelhaus, um sein Vorhaben auszuführen. Als er aber den schönen Vogel schon in der Hand hatte, da meinte er, der hölzerne Bauer sei doch zu schlecht, ein so kostbares Thier müsse auch in einem kostbaren Käfig wohnen und er nahm einen der prächtigsten goldnen Käfige, setzte den Vogel hinein und floh mit ihm. Kaum war er aber vor dem Thor, als der Vogel Phönix anfing, aus Leibeskräften zu schreien, als sei ihm einer mit einem Messer am Halse. Da liefen die Schloßdiener alle zusammen – der Prinz Ferdinand wurde gefaßt und in’s Gefängnis geworfen. Da hatte er Zeit, über seinen tollen Streich nachzusinnen! Er bereute ihn aus Herzensgrund und rief ein über das anderemal: ‚Ach lieber Bär, hätte ich dir doch gefolgt!‘ Da stand plötzlich der Bär vor ihm und machte ihm Vorwürfe über seinen Ungehorsam. Ferdinand bat ihn, er möge es doch verzeihen und ihm noch einmal helfen, er wolle es ja nicht wieder thun und ihm in allen Stücken folgen. ‚Wir wollen sehn,‘ sprach der Bär. ‚ Wenn du morgen vor den König geführt wirst, dann sage ihm aufrichtig, daß du deinem kranken Vater den Vogel Phönix hättest bringen wollen und wenn er dir ihn gebe, dann würdest du ihm die Schönste unter der Sonne holen.‘ Das that Ferdinand, der König war’s zufrieden und der Prinz wurde losgelassen.
Als er vor das Thor des Schlosses kam, stand der Bär schon da, Ferdinand setzte sich auf seinen Rücken und fort ging’s, wie der Sturmwind so schnell und wieder zwölf Stunden lang ohne Aufhören weiter. Da standen sie vor einer andern Stadt, die war noch größer und schöner als die erste. Es war aber halbe Nacht, als sie ankamen. Da stieg Ferdinand von des Bären Rücken und der sprach: ‚In dieser Stadt wohnt ein König, der hat drei Töchter und die Jüngste davon ist die Schönste unter der Sonne. Suche nun in das Zimmer zu dringen, wo die Prinzessinnen schlafen; du erkennst die rechte daran, daß sie die schlechtesten Kleider an hat. In diesen Kleidern sollst du sie forttragen, aber ja ihr keine schönen anziehn, denn sonst ist es um dich geschehn.‘ Der Prinz ging in das Schloß, verdingte sich als Knecht und stieg von Stelle zu Stelle, bis er Kammerherr der Prinzessinnen wurde. Da dachte er, jetzt sei es Zeit, die Schönste unter der Sonne zu rauben, drang Nachts in ihr Zimmer, nahm sie auf seinen Arm und wollte mit ihr weggehen. Da fiel das Licht der Nachtlampe auf ihr holdseliges Gesicht und es that dem Prinzen leid, daß das schöne Mädchen so schlecht angezogen sei. Er ging hin und nahm sich prächtige goldne und silberne Kleider, die in Menge an der Wand hingen, zog die der Prinzessin an und wollte fliehn. Indem erwachte aber die Schönste unter der Sonne, und als sie sich in den Armen des Kammerherrn fand, schrie sie laut auf. Alsbald kamen ihre Schwestern und der König und die Königin, die in dem Zimmer daneben schliefen – der Prinz wurde wieder gefangen und in einen tiefen Thurm geworfen. Nun wo das Kind ertrunken war, hätte er gerne den Brunnen zugedeckt, aber das war zu spät. ‚Ach lieber Bär!‘ rief er, ‚wer dir doch gefolgt hätte!‘ – ‚Ja, das sagst du schon wieder und du folgst doch nie!‘ rief der Bär, der im selben Augenblicke vor ihm stand. ‚Jetzt helf ich dir noch einmal und dann ist’s am Ende. Wenn du morgen vor den König kommst, dann erzähle ihm Alles aufrichtig und sage ihm, wenn er dir die Schönste unter der Sonne gäbe, dann wolltest du ihm das schnellste Pferd verschaffen.‘ Der Prinz that, wie gesagt, und der König sprach, das solle ein Wort sein und gab ihn frei. Vor dem Thor des Schlosses stand der Bär schon wieder und der Prinz setzte sich auf seinen Rücken und fort ging’s, schneller als eine Kugel fliegen kann.
Als sie zwölf Stunden älter waren, standen sie gegen Mitternacht vor einer Stadt, die war zweimal so groß als die vorige. Da sprach der Bär: ‚ Geh in die Stadt und in das Schloß, da wohnt der König, der das schnellste Pferd hat, das steht im Stall bei den andern und du kannst es daran erkennen, daß es einen hölzernen Sattel auf dem Rücken hat, da die andern goldene und silberne Sättel haben. Laß ihm aber den hölzernen Sattel auf und mache keine dummen Streiche mit den andern schönen Sätteln, sonst wirst du sehn, was es gibt und dann helf ich dir nicht mehr.‘ Ferdinand versprach Alles, was der Bär haben wollte, ging in die Stadt und suchte am folgenden Morgen Dienst bei dem König. Der hatte aber gerade einen Stalljungen nöthig und der Prinz ließ sich den Dienst schon gefallen. Er war auch so fleißig und fegte den Stall so schön rein, daß ihn der König bald darauf zum Stallmeister machte und da war er weit genug. Eines Abends, wo der König gerade ein großes Gastmahl hielt, ging er in den Stall und band das schnellste Pferd los. Als er aber den hölzernen Sattel auf dem schönen Thiere sah, dachte er wieder, das sei doch Jammer und Schande, der König habe noch goldene Sättel genug und zudem könne das Pferd ja nicht sprechen; und er band den hölzernen Sattel ab und schnallte einen goldnen auf. Kaum war er aber mit dem Pferde vor der Thür, da machte es mannshohe Sprünge und schrie: ‚Diebe! Diebe! Der Stallmeister will mich stehlen!‘ Und da lief gleich das ganze Schloß zusammen – der Prinz wurde gepackt und in den Thurm gesperrt. Das hatte er nun davon. Er fing aber sein altes Spiel wieder an und weinte und rief: ‚Ach lieber Bär, hätte ich doch gefolgt!‘ aber der Bär hatte sich Baumwolle in die Ohren gestopft und wollte nichts hören. AIs Ferdinand nun die ganze Nacht und den ganzen Tag hindurch lamentirt hatte, da stand der Bär wieder vor ihm und sagte unwirsch: ‚Habe ich dir’s nicht gesagt? Aber wer nicht hören will, der muß fühlen, und wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen; morgen kannst du Hochzeit halten mit des Seilers Tochter!‘ Da fiel Ferdinand dem Bären um den Hals und sprach: ‚Ach du goldiger Bär, ich bitte dich, ‚ sei mir wieder gut und verzeih mir nur dießmal noch, ich will ja gern Alles thun, was du haben willst.‘ ‚Das plaudere du den Gänsen vor, aber mir nicht,‘ sprach der Bär und wollte gehn, aber der Prinz weinte so jämmerlich, daß es der gute Bär nicht übers Herz bringen konnte und sagte: ‚Nun, ich will’s denn noch einmal versuchen, aber ich sage dir, es ist das allerletztemal. Wenn du vor Gericht kommst, dann sage dem König, wenn er dir das schnellste Pferd gebe, dann wolltest du ihm den kostbarsten Stein bringen.‘ Da ward Ferdinand wieder froh und dankte dem guten Bären aus Herzensgrund. Als er am folgenden Tag vor Gericht kam, that er, wie der Bär ihn geheißen und es ging gut, denn der König hätte schon lange gern den kostbarsten Stein gehabt und ließ ihn darum gerne los. Vorm Schloß aber erwartete der Bär ihn, der Prinz setzte sich auf seinen Rücken und weg war er.
Nachdem sie sich zwölf Stunden lang Bewegung gemacht hatten, hielt der Bär vor einem hohen Berge an und sprach: ‚Der Berg wird sich gleich öffnen und eine Stunde lang offen bleiben. Geh dann hinein und habe keine Furcht, wie viel Löwen und Tiger auch auf dich zustürzen mögen, denn sie können dir nichts anhaben. Am Ende der Höhle, in die du kommst, findest du den kostbarsten Stein auf einem kleinen hölzernen Stühlchen ; nimm ihn schnell, komme gleich wieder und halte dich nur ja nicht bei den Haufen anderer Edelsteine auf, denn sonst ist es um dich geschehen und ich kann dir nicht mehr helfen, wenn du auch nur eine halbe Minute länger, als eine Stunde ausbleibst.‘ Ferdinand gelobte, dem Bären in allen Stücken zu folgen, einige Augenblicke später aber öffnete sich die Höhle und er ging hinein. Da kam zuerst ein Löwe auf ihn zugestürzt, aber er ließ sich das nicht anfechten und der Löwe lief an ihm vorbei. Dann kamen Tiger, Wölfe, Bären und allerlei Ungeheuer, aber er ging seines Wegs weiter bis an das hölzerne Stühlchen, da nahm er den kostbarsten Stein und steckte ihn schnell in die Tasche. Jetzt wollte er eilends wieder zurück, aber da lagen überall auf seinem Wege so viele Edelsteine, daß er der Versuchung nicht widerstehn konnte und sich immer wieder bückte und alle Taschen vollstopfte. So war er bis fast an den Eingang der Höhle gekommen und da lag noch ein großer Haufen der schönsten Edelsteine. Als er sich aber hinzu bückte, bekam er von unsichtbarer Hand eine so gewaltige Ohrfeige, daß er bis fünfzig Schritt vor die Höhle flog und ohnmächtig liegen blieb. Als er erwachte, saß der Bär neben ihm und sprach: ‚Nun bedanke dich bei mir für die Ohrfeige, denn wenn ich dir die nicht gegeben hätte, dann säßest du in der Höhle, die sich noch in derselben Minute geschlossen hat. Theile nun die Edelsteine und gib dem König den kostbarsten und von jeder Sorte die Hälfte, dann bekommst du das schnellste Pferd.
Das that der Prinz und der Bär trug ihn zurück bis an das Schloß. Da ging Ferdinand hinein und gab dem Könige die Edelsteine, der König übergab ihm dafür das Pferd und der Prinz flog darauf wie ein Pfeil durch die Luft und zu dem König, unter dessen Töchtern die Schönste unter der Sonne war. Als er vor dem Königsschloß ankam, ließ er sein Pferd draußen stehn, trat hinein und sprach: ‚Herr König, ich habe das schnellste Pferd mitgebracht; kommt mit euren Töchtern heraus und seht es; ich will euch eine Probe von seiner Schnelligkeit geben.‘ Da freute sich der König und kam mit seiner ganzen Familie heraus, aber die Töchter standen zu seiner Seite auf dem Schloßhof. Ferdinand sprang auf das schnellste Pferd und ritt mit ihm an dem König vorbei und zu den Prinzessinnen, die es streichelten und liebkosten. Als aber die Schönste unter der Sonne das auch thun wollte und ganz nahe bei dem Pferde stand, da faßte Ferdinand sie schnell, hob sie zu sich auf das Roß – fort waren sie und der König hatte das Nachsehn. Anfangs sträubte sich die Prinzessin gegen Ferdinand, als er ihr aber sagte, wie lieb er sie habe, gab sie sich zufrieden und sagte, sie wollte keinen andern Mann, als ihn.

So kamen sie zu dem König, der den Vogel Phönix hatte und waren schon miteinander eins, wie sie es machen wollten, um zusammen zu bleiben. Sie ritten vor des Königs Schloß und als der sie kaum sah, eilte er gleich heraus und begrüßte sie freundlich. Da übergab ihm Ferdinand die Schönste unter der Sonne und bekam den Vogel Phönix dafür. Kaum hatte er ihn aber, da sprang die Schönste unter der Sonne herauf zu ihm auf das schnellste Pferd; er aber sprach: ‚Wohl bekomm’s Herr König!‘ und weg waren sie.

Als sie ein Stück Wegs weiter waren, begegnete ihnen der Bär und der sprach: ‚Das hättest du gut gemacht, aber eile dich, daß du nach Hause kommst und halte dich unterwegs nicht auf, es mag kommen, was will, sonst bist du verloren.‘ Ferdinand versprach’s, bedankte sich bei dem Bären und ritt weiter in Lust und Vergnügen; er hatte ja auch Alles, was er nur wünschen konnte: die Schönste unter der Sonne, Edelsteine von unermeßlichem Werth, das schnellste Pferd und den Vogel Phönix, wodurch er das ganze Königreich seines Vaters erhielt.

So gelangte er an den Baum und sah an den Namen, daß noch keiner seiner Brüder zurückgekehrt sei. Weil es aber ein so sehr heißer Tag war, übermannte ihn die Müdigkeit und er wollte sich schlafen legen. ‚Thu das nicht,‘ sprach die Schönste unter der Sonne. ‚Du weißt ja, was der Bär gesagt hat!‘ ‚Ei, was kann das ausmachen, ob ich ein wenig schlafe, oder nicht,‘ sagte er, und legte sich hin.
Als er aber so da lag, kamen seine Brüder zurück, die hatten gar nichts mit zurückgebracht und waren bettelarm. Als sie ihn sahen und den Vogel Phönix bei ihm und das schöne Pferd und die Schönste unter der Sonne neben ihm, da fraß der Neid in ihr Herz und sie nahmen ihm Alles und banden ihn und warfen ihn in eine Löwengrube; dann theilten sie die Dinge unter sich und zogen heim und brachten ihrem Vater den Vogel Phönix.
Unterdessen lag Ferdinand in der Löwengrube und wußte jetzt, was das Schlafengehen auf sich hatte. Keine Rippe war ihm mehr ganz am Leibe. ‚Ach, lieber Bär, hätte ich dir nur dießmal noch gefolgt!‘ rief er, und da stand der Bär im selben Augenblick oben an der Löwengrube und sprach heimlich mit den heimkehrenden Löwen, sie sollten dem Prinzen nichts thun. Dann rief er hinab: ‚Nun, was hab ich dir gesagt? Jetzt bist du Löwenfutter. Gesegnete Mahlzeit, ihr Herren Löwen!‘ Da wurde es Ferdinand kalt und heiß und er rief: ‚Ach, liebster, bester Bär, ich war ja so müd! Ach verzeih mir’s noch einmal! Du hast ja ein so gutes Herz! Ach denk nur, die Schönste unter der Sonne stirbt vor Leidwesen und du wirst doch nicht dulden können, daß ein so großes Unrecht geschehe und meine Brüder triumphiren!‘ ‚Ach was, das ist gerechte Strafe,‘ sagte der Bär und that, als ob er fortgehn wollte, aber er that es doch nicht, und als Ferdinand wieder recht bat, ließ er sich erweichen, brachte ihm Speise und Trank und verpflegte ihn, so daß er in Zeit von vier Wochen wieder gesund wurde. Dann setzte sich Ferdinand auf seinen Rücken und der Bär eilte fort mit ihm bis an das Schloß, wo Ferdinands Vater wohnte. Da setzte er ihn ab und sprach: ‚Nun geh hinein und sieh, wie du fertig wirst; ich rathe dir nicht mehr.‘ Da ging Ferdinand hinein und frug, ob kein Dienst frei sei? ‚Doch wohl,‘ sagte der Schloßmeister; ‚ich habe gestern meinen Stallknecht fortgeschickt und dessen Stelle kannst du haben.‘ ‚Gut,‘ sprach Ferdinand, und ging mit ihm in den Stall und da stand das schnellste Pferd und ließ den Kopf hängen und war ganz mager und hager, denn es hatte noch gar nichts fressen wollen. Als Ferdinand es sah, ging er zu ihm, streichelte es und sprach mit ihm. Aber kaum hörte das Thier seine Stimme, als es lustig sprang und fraß und ganz munter wurde. Das wunderte den Schloßmeister und er ging zum König, der noch immer krank war, und erzählte es ihm. ‚Den Menschen muß ich sehn!‘ sprach der König. Da führte der Schloßmeister den Prinzen zu ihm. Der König erkannte ihn nicht, weil Ferdinand so sehr bleich und abgezehrt aussah; aber er sprach zu ihm: ‚Da du das Pferd so schnell geheilt hast, kannst du auch den Vogel Phönix heilen, der dort im Bauer sitzt und nicht singen will, und die Schönste unter der Sonne, die am Fenster sitzt und nicht sprechen will. Wenn du das fertig bringst, dann bekommst du tausend Gulden.‘ Da ging Ferdinand zu dem Vogel Phönix und sagte: ‚Hänschen, sing mir ein Stückchen!‘ Und da fing der Vogel an so wunderschön zu singen, daß der König aus dem Bett sprang und ganz gesund war. Dann ging der Prinz auch zur Schönsten unter der Sonne und sprach: ‚ Erzähle du dem König, wer ich bin und wer du bist.‘ Da fing die Schönste unter der Sonne an und erzählte Alles und als der König hörte, daß der Stallknecht sein jüngster Sohn sei, fiel er ihm um den Hals und da war seiner Freude kein Ende. – ‚Jetzt sage mir auch, was mit deinen Brüdern geschehn soll?‘ sprach der König. ‚Sie sollen aus dem Lande,‘ sprach Ferdinand. Da wurden sie alsbald des Landes verwiesen, aber Ferdinand hielt Hochzeit mit der Schönsten unter der Sonne und bekam das ganze Königreich.
Nach einiger Zeit schenkte ihm seine Frau ein sehr schönes Söhnchen und da fehlte ihm nichts mehr zu seinem Glück. Als er nun eines Tages mit ihr und dem Kinde am Fenster stand, da sahen sie in der Ferne den Bären kommen. Ferdinand hatte darüber große Freude, ging ihm bis in den Schloßhof entgegen und führte ihn herauf und ließ eine köstliche Mahlzeit anrichten. Der Bär aber sprach: ‚ Das Alles mundet mir nicht.‘ ‚ Sag nur, was du haben willst und es wird gleich da sein,‘ sprach Ferdinand. ‚Willst du mir gewiß geben, was ich verlange?‘ frug der Bär, und das wurde ihm fest versprochen. ‚ Gut,‘ sprach der Bär, ‚ dann gib mir dein Kind, aber hau es mit deinem Schwert in zwei Teile, damit ich es besser verschlingen kann.‘ Da meinte Ferdinand und seine Frau, die Erde thäte sich vor ihnen auf; sie fielen dem Bären zu Füßen und baten ihn, doch etwas anderes zu wünschen, aber der Bär blieb bei seinem Begehren. ‚Wenn du nicht anders willst, dann müssen wir wohl,‘ sprach Ferdinand, ‚denn wir sind dir zu viel Dank schuldig,‘ und seine Frau stimmte unter Thränen ein. Da holte er das Kind und legte es auf den Tisch, wandte die Augen ab und hob das Schwert; aber im selben Augenblick fiel dem Bären die Haut ab und er stand als ein schöner Prinz da. ‚Jetzt bin ich erlöst,‘ sprach er, und da hatten sie Alle erst rechte Freude, und um so mehr, je größer ihr Herzeleid gewesen war. Der Prinz blieb noch einige Tage bei ihnen, dann ging er nach Haus, verkaufte sein Königreich, kam bald wieder und baute sich ein großes Schloß neben dem von Ferdinand, und da lebten sie in Frieden und Einigkeit und da kam eine Maus und das Mährlein ist aus.

Johann Wilhelm Wolf (1817-1855)

Sonntagsmärchen

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Hausmärchen, 1858
Der Jüngling im Feuer und die drei goldnen Federn

Zwei blutarme Leute hatten ein Kind, das war ein Knäbchen und war gar schön und gut, so daß sie ihre größte Freude an ihm erlebten. Das dauerte aber nicht lange, da starb der Mann und der armen Frau ging es herzlich schlecht und sie kam in bittere Noth. Darüber grämte sie sich so sehr, daß sie sich hinlegte und ihrem Manne nachstarb. Also stand das arme Kind ganz mutterseelenallein in der Welt und hatte Niemanden, der sich seiner annahm. Es bettelte sein Brod an den Thüren und kam so jeden Tag in des Königs Schloß, da gab ihm der Koch die Reste, welche auf den Tellern übrig geblieben waren, die aß es im Schloßgarten unter einem Baume. Nun hatte der König ein Töchterchen, das war an demselben Tage geboren, wie das Knäbchen, und lief jeden Mittag nach Tische in den Garten, um zu spielen. Da sah es denn jedesmal, wie das arme Kind die geringen Bissen so gierig verschlang und das that ihm sehr leid, denn es hatte ein gutes Herz. Es holte ihm Brod und Geld und gab ihm seine abgetragenen Kleidchen, brachte auch Spielsachen mit und die beiden Kinder spielten ganze Tage miteinander. So wuchsen sie auf und wurden größer, da nahm das Knäbchen im Schlosse Dienst und wurde als Hirte über das Federvieh gesetzt. Sie sahen sich jeden Tag vor wie nach und je länger es dauerte, um so mehr erkannten sie, daß sie eins ohne das andre nicht leben könnten.
Ein paar Jahre später kam ein mächtiger Königssohn zum Besuch an den Hof des Königs, dem gefiel die Prinzessin so gut, daß er sogleich um ihre Hand anhielt. Der König, welcher seine Tochter sehr liebte, sprach: ‚Ich gebe gern mein Jawort, wenn es ihr recht ist.‘ Als der Königssohn aber der Prinzessin von seiner Liebe sprechen wollte, wies sie ihn ab und sprach: ‚Spart euch die Mühe, mein Herz gehört dem Gänsehirten an unserm Hofe und keinem andern; wenn ich den nicht bekomme, will ich nie heirathen.‘ Darüber war der Prinz höchlich entrüstet, ging zum König und sagte es ihm wieder. Der König erzürnte sehr, als er das hörte und sprach: ‚Dem wollen wir bald abhelfen;‘ ließ sofort den Hirten rufen und sagte: ‚Bereite dich zum Tode, morgen wirst du lebendig verbrannt, weil du dich vermessen hast, die Prinzessin zu lieben.‘
Das war an einem Morgen, gerade als der Hirte sein Federvieh austreiben wollte. Er nahm seinen Hirtenstab und ging so recht von Herzen betrübt hinter seinen Gänsen, Enten und Hinkeln daher der Weide zu; da setzte er sich hin und weinte bitterlich, daß er die Prinzessin und sein junges Leben so bald verlieren sollte. Da stand plötzlich ein Greis neben ihm der fragte ihn, was ihm fehle. Als der Jüngling ihm sein Leid geklagt hatte, sprach der Greis: ‚Gehe getrost in das Feuer, es wird dir nichts anhaben können, denn Gott kennt deine Unschuld und schützet dich.‘ Da ging dem armen Jüngling das Herz auf, er faßte frischen Muth und zog Abends heitern Sinnes dem Schlosse zu. Da stand der Scheiterhaufen schon aufgerichtet und mittendrin der Pfahl, an welchen er gebunden werden sollte; die Prinzessin stand aber am Fenster und schaute mit weinenden Augen auf das Holz hin. Da rief ihr der Jüngling hinauf und schwenkte seine Mütze: ‚Laß deinen Kummer fahren und vertraue auf Gott, der wird uns helfen.‘ Als sie sah, wie er so fröhlich war und gar keine Sterbensfurcht hatte, da kam auch über sie eine große Ruhe, warum das wußte sie nicht, aber sie konnte gar keine Angst mehr haben.
Am folgenden Morgen kamen die Henkersknechte zu dem Jüngling, um ihn zu binden, da sprach er: ‚Nehmt eure Stricke wieder mit, ich gehe gern in das Feuer‘ und er kletterte auf den Scheiterhaufen hinauf und stellte sich an den Pfahl. Da schlugen die Flammen bald hoch empor und die Leute, welche umherstanden, hatten rechtes Mitleid mit dem Jüngling und sprachen: ‚Ach was muß dieß für ein harter Tod sein‘.‘ Er stand aber mitten in den Flammen und sang mit heller Stimme und das Feuer versengte ihm nicht ein Haar. Als sich die Flammen nach und nach legten und nur die rothen Kohlen noch glühten, da staunte das ganze Volk, als es den Jüngling mit seinen frischen rothen Backen lachenden Mundes in der Gluth stehen sah, wie er seine Mütze gegen das Schloß zu schwenkte. Da stand die Prinzessin nämlich, die winkte ihm mit ihrem Tuch und jetzt hatten sich die Beiden noch viel lieber als zuvor. Da frohlockten die Leute und sprachen: ‚Das hat der liebe Gott um ihrer großen Treue willen getan.‘ Der König frohlockte aber nicht, sondern befahl, den Jüngling als einen Zauberer in das Gefängnis zu werfen und alsbald ein ungeheures Haus von Stein zu bauen mit einem eisernen Tor; das ließ er mit Buchenreisig und Eichenholz füllen. Darin sollte der Jüngling verbrannt werden.
Als die Henkersknechte kamen, ihn zu binden, sprach er: ‚Laßt mich frei gehn, ich entlaufe euch nicht.‘ Er ging frohen Muthes in das Haus, dessen eiserne Thür alsbald verschlossen wurde, nachdem das Holz angezündet war. Das Volk hatte jetzt erst rechtes Mitleiden mit dem Jüngling und murrte laut gegen den grausamen König, als die Flammen ihre rothen Zungen aus dem Hause streckten. Es dauerte einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, ehe das Holz all verbrannt war und an dem Tage und in der Nacht wurde viel geweint und blieb nicht manches Auge trocken. Die Hitze war so groß, daß das eiserne Thor an dem Hause schmolz und am Schlosse des Königs alle Fenster zersprangen. Als aber die Flammen kleiner und kleiner wurden und das Prasseln und Knistern aufhörte, da klang mitten in der Feuersgluth die Stimme des Jünglings hell und klar, wie vordem in dem Scheiterhaufen. Jetzt jauchzte das Volk lautauf, so daß der König nicht hätte wagen dürfen, dem Jüngling ferner Leid anzuthun. Als die Glut fast ganz erloschen war, ging er aus dem Feuerhaus hervor und war schöner als je, so daß die Leute ordentlich Furcht vor ihm hatten und sprachen: ‚ Man meint, einen Engel aus dem Himmel zu sehn.‘ Er winkte der Prinzessin mit seinem Hut und sie winkte ihm mit ihrem Tuch und jetzt hätte nichts in der Welt die Beiden von einander trennen können. Man sollte meinen, ein so großes Wunder hätte den König rühren müssen, aber er hatte ein Herz, wie von Stein und sann nur auf einen neuen Anschlag, den Jüngling zu verderben. Er ließ ihn zu sich rufen und sprach: ‚Ich will euch Beide in Gottesnamen zusammengeben, zuvor mußt du mir aber drei goldne Federn vom Vogel Greif holen.‘ Der Jüngling sprach: ‚Hat mich der liebe Gott zweimal aus dem Feuer gerettet, so werde ich auch dieß noch erfüllen können; soll ich aber umkommen dabei: ei nun, ich bin Gott nur einen Tod schuldig und will ihn gern erleiden wo er will.‘ ‚Geh du nur, du kommst nicht wieder,‘ dachte der König, denn der Vogel Greif ist ein Menschenfresser, dem man nicht so mir nichts dir nichts drei Federn ausrupfen kann.
Das Haus des Vogels Greif lag aber hinter drei Königreichen und einem großen Wasser. Als der Jüngling nun fortreiste und an das erste Königreich kam, war da große Trauer bei Hofe, denn des Königs Lieblingsbaum trug keine Früchte mehr. Der König hörte nicht sobald, daß der Jüngling zum Vogel Greif reise, als er ihn zu sich kommen ließ und ihn bat, von dem Vogel zu erforschen, warum der Baum so krank sei; er wolle es ihm gut lohnen. ‚Das will ich gern, so ich es kann,‘ sprach der Jüngling. Im zweiten Königreich, wodurch er kam, war große Geldnoth, denn der König hatte den Schlüssel zu seiner Schatzkammer verloren. Als der König von dem Jüngling hörte, der zum Vogel Greif reise, ließ er ihn kommen und bat ihn, den Vogel Greif zu fragen, wohin der Schlüssel gekommen sei, er werde es ihm reichlich lohnen. ‚Das will ich gern, wenn ich es kann‘ sprach der Jüngling. In dem dritten Königreiche war große Wassernoth, denn der Brunnen vor des Königs Schlosse wollte kein Wasser mehr geben. Als der König hörte, daß ein Jüngling da sei, der zum Vogel Greif reise, ließ er ihn kommen und bat ihn, den Vogel Greif zu fragen, warum der Brunnen nicht mehr laufe. ‚Wenn ich kann, thue ich es gern‘ sprach der Jüngling. Also kam er zu dem großen Wasser. Da stand ein Riese, welcher die Leute hinübertrug. Als er den Jüngling am andern Ufer absetzte, sprach er: ‚ Zum Lohne für meine Mühe frage den Vogel Greif, wie ich hier erlöst werden kann.‘ ‚Von Herzen gern,‘ sprach der Jüngling.
Als er am Schlosse des Vogels Greif ankam, war dessen Frau allein zu Hause. ‚Ach daß du dich hierher verirrt hast! Eile, daß du wegkommst, denn mein Mann ist ein Menschenfresser,‘ sprach sie. Der Jüngling erwiederte: ‚ Das wußte ich wohl, aber ich vertraue auf Gott und ich mußte Alles wagen, da ich sonst meine liebste Braut verloren hätte.‘ Das freute des Greifen Frau, daß er seine Braut so sehr liebte, und sie versprach, ihm gegen ihren Mann beizustehn. Er erzählte ihr jetzt Alles und sie sprach: ‚ Verstecke dich unter dem Bette und gib genau Acht, was er sagt; morgen gebe ich dir die drei Federn.‘ Während sie so sprach, erhob sich vor dem Schloß ein Brausen gleich dem eines Sturmes und es wurde ganz finster in dem Zimmer. ‚Eile dich, da kommt mein Mann!‘ rief die Frau Greifin und der Jüngling kroch unter das Bett. Bald darauf kam der Vogel Greif herein und zugleich ging ein großer Glanz durch das Zimmer, denn seine Federn waren aus purem Gold. ‚Wen hast du heim? Ich rieche Menschenfleisch,‘ sprach der Vogel Greif, und die Frau antwortete: ‚Ja du hast recht, es war ein armer Handwerksbursche hier, der hat auf dem Stuhl da gesessen, ist aber bald wieder weggegangen.‘ Da sah der Greif sie einmal scharf an mit seinen durchdringenden Augen, aber sie ließ sich nicht irre machen und fragte: ‚Willst du zu Nacht essen?‘ ‚Ja wohl und zwar schnell, ich bin müde und will zu Bette,‘ sprach der Greif. Da trug sie die Speisen auf und sie aßen zusammen, dann legten sie sich schlafen. Gegen elf Uhr riß die Frau dem Greif eine seiner goldnen Federn aus. ‚O weh!‘ schrie er, ‚was machst du denn?‘ ‚Mir träumte ein König habe einen Baum, der immer schöne Früchte getragen habe und jetzt keine mehr trage, darüber traure der ganze Hof,‘ sprach die Frau. Der Greif sagte: ‚Das ist Wahrheit und kein Traum, der Baum würde schon tragen, wenn kein ermordetes Kind unter ihm begraben läge.‘ Nach einiger Zeit, als es gegen zwölf Uhr ging, riß die Frau ihm abermals eine Feder aus. ‚O weh!‘ schrie der Greif, ‚was hindern dich meine Federn?‘ Die Frau sprach: ‚Ich hatte einen Traum, in einem Königreiche herrsche Geldnoth, weil der König den Schlüssel zu seiner Schatzkammer verloren habe.‘ ‚Das ist Wahrheit und kein Traum,‘ erwiederte der Greif. ‚Der Schlüssel liegt unter der Thürschwelle, denn der König hat ihn fallen lassen und an der Schwelle ist ein Spalt im Fußboden. Jetzt laß mich in Ruhe.‘ Gegen ein Uhr nahm die Frau ihm die dritte Feder. ‚ Au, was fällt dir denn ein, daß du mir meine Federn ausreistest?‘ schrie der Greif. ‚Ich griff im Traum hinein‘ sprach die Frau. ‚Was träumte dir denn wieder?‘ ‚Mir träumte, ein Königreich sei in Wassernoth, weil der Brunnen vor des Königs Schloß nicht mehr springe.‘ ‚Das ist Wahrheit und kein Traum,‘ sagte der Greif. ‚Eine Schildkröte sitzt im Rohr, die muß mit einer Kanone herausgeschossen werden. Wenn du mich aber ferner quälst, geht es dir schlecht.‘ ‚ Es ist ja meine Schuld nicht, wenn ich schwer träume,‘ sprach die Frau. Als der Greif Morgens erwachte, brummte er: ‚Das war eine schöne Nacht. Daß du dich nur nicht unterstehst, noch einmal so zu träumen.‘ ‚Ich kann doch nicht dafür, wenn ich bis zum Morgen ängstlich träume, das ist keine Freude für mich,‘ erwiederte die Frau. ‚Bis zum Morgen? Was hat dir denn noch geträumt?‘ fragte der Greif. ‚Ich sah einen Riesen, welcher Leute über ein großes Wasser tragen mußte und nicht erlöst werden konnte.‘ ‚Das ist Wahrheit und kein Traum‘, sprach der Greif. ‚Er wäre aber erlöst, wenn er einen, den er herübertragen soll, mitten im Wasser absetzte.‘ Jetzt aß der Greif sein Morgenbrod und dann flog er aus. Der Jüngling kam unter dem Bett hervor, da gab die Frau ihm die drei Federn und das war ein Glanz! ‚Du hast Alles wohl verstanden, was mein Mann gesagt hat,‘ sprach sie und er dankte ihr von Herzen für all ihre Güte, die er ihr nie vergessen werde.
Als der Riese ihn über das Wasser getragen hatte, sagte der Jüngling ihm, wie er erlöst werden könne. ‚Hättest du mir das doch drüben gesagt!‘ murrte der Riese in seinem Undank, aber das war nun zu spät. Von da reiste der Jüngling weiter zu den drei Königen und gab jedem seinen Rath, wie er ihn von dem Vogel Greif gehört hatte. Der Erste ließ die Schildkröte aus dem Rohr des Brunnens herausschießen, da sprang das Wasser so reichlich, daß alle Straßen überschwemmt wurden. Der zweite König fand den Schlüssel zur Schatzkammer richtig in der Spalte an der Thürschwelle. Der dritte König ließ das ermordete Kind an dem Baume herausgraben und sogleich trieb der Baum Blätter und Blüthen. Der Jüngling aber erhielt von jedem der Könige einen Sack Gold, so schwer als ein Pferd tragen konnte und von dem letzten auch noch ein Reitpferd für sich. Also ritt er mit seinen drei Rossen der Hauptstadt zu, wo seine Liebste wohnte. Als er in die Nähe der Stadt kam, zog er seine drei goldnen Federn heraus und steckte jedem der Pferde eine an den Kopf und das leuchtete und glänzte, wie lauter Diamanten, wenn die Sonne darauf schien; etwas Prächtigeres kann man sich gar nicht denken. Aber noch weniger kann man sich die Freude denken, welche die Prinzessin hatte, als sie den Jüngling so stolz heranreiten sah. Sie hatte ja auch so manchen Monat und so manchen Tag mit ihren sehnlichen Blicken die Straße herunter geschaut und immer vergebens geschaut. Jetzt war auf einmal Alles erfüllt, was sie so lange gehofft hatte und außer sich vor großer Wonne flog sie die Treppen hinab und ihrem lieben Bräutigam entgegen. Als der König dazu kam und der Jüngling ihm die drei goldnen Federn überreichte, da wurde sein Herz weich und er gab die Beiden zusammen. Der Jüngling baute von seinem Gelde nun ein großes Schloß, darin wohnte er in Lust und Freude mit seiner Gemahlin. Nach des Königs Tode setzte er sich die Krone auf das Haupt und regierte, wie ein frommer König soll in der Furcht des Herrn.

Johann Wilhelm Wolf (1817-1855)