Monatsarchiv: August 2020

Die Geschichte von dem kleinen Muck

von Wilhelm Hauff

In Nicea, meiner lieben Heimatstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck nannte. Er war schon ein alter Geselle, doch seine Gestalt war sonderbar. Er war gerade mal drei bis vier Schuhe hoch, und sein zierlicher Leib musste einen Kopf tragen, der viel größer und dicker war als bei anderen Leuten. Der kleine Muck wohnte ganz alleine in einem großen Haus. Man sah ihn oft am Abend auf seinem Dache auf und ab gehen. Von der Straße aus gesehen glaubte man, nur sein großer Kopf schwebe vorbei.

Ich und meine Kameraden waren böse Buben. Für uns war es immer ein Festtag, wenn der kleine Muck alle vier Wochen einmal ausging. Wir versammelten uns vor seinem Haus und warteten, bis er herauskam. Wenn dann die Türe aufging und der große Kopf mit einem noch größeren Turban herausguckte, ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei. Wir warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll umher. Der kleine Muck aber grüßte uns mit einem steifen Nicken und ging langsam die Straße hinab. Wir liefen alle hinter ihm her und sangen unseren Vers:

„Kleiner Muck, kleiner Muck,
wohnst in einem großen Haus,
gehst nur ab und zu mal aus.
Bist ein braver, kleiner Zwerg,
hast ein Köpflein wie ein Berg.
Schau dich einmal um und guck,
lauf und fang uns, kleiner Muck!“

So hatten wir schon oft unsere Scherze getrieben, und zu meiner Schande muss ich es gestehen, ich war immer vorne mit dabei. Manchmal zupfte ich den kleinen Muck am Mäntelein, und einmal trat ich ihm von hinten auf die großen Pantoffeln, dass er hinfiel. Dies kam mir nun sehr lächerlich vor, aber das Lachen sollte mir noch vergehen. Ich sah den kleinen Muck nämlich in das Haus meines Vaters gehen. Als er wieder herauskam, begleitete mein Vater ihn und verabschiedete sich mit vielen Bücklingen von ihm. Mir war gar nicht wohl zumute.

Ich blieb noch lange in meinem Versteck, aber der Hunger trieb mich heraus. Mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. Er sprach in sehr ernstem Tone: „Du hast, wie ich höre, den guten Muck zu Fall gebracht. Ich will dir mal die Geschichte von dem kleinen Muck erzählen. Danach wirst du ihn gewiss nicht mehr auslachen. Davor und danach bekommst du aber das Gewöhnliche.“ – Das Gewöhnliche waren fünfundzwanzig Hiebe, die mein Vater der Reihe nach abzählte. Er nahm sein langes Pfeifenrohr, schraubte die Spitze aus Bernstein ab und bearbeitete mich schlimmer als je zuvor. Dann erzählte er mir die versprochene Geschichte.

Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah hieß, war in Nicea ein angesehener, aber armer Mann. Er lebte beinahe so einsam, wie jetzt sein Sohn. Muckrah konnte seinen Sohn nicht recht leiden, weil er sich wegen seiner Zwerggestalt schämte. Der Alte stürzte einmal böse die Treppe herunter und starb daran. Die Verwandten, bei denen der Verstorbene noch Schulden hatte, jagten den kleinen Muck jetzt aus dem Hause und rieten ihm, sein Glück in der Welt zu suchen. Der kleine Muck bat sich aber noch den Anzug und den Dolch seines Vaters aus, was ihm auch bewilligt wurde.

Sein Vater war ein großer, starker Mann gewesen, daher wollten die Kleider dem kleinen Muck nicht recht passen. Er aber schnitt ab, was zu lang war, und zog die Kleider einfach an. Dabei schien er zu vergessen, dass man auch in der Weite etwas abschneiden musste. So kam es dann zu dem sonderbaren Aufzug, in dem der kleine Muck auch noch heute zu sehen ist. Der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, das alles sind Erbstücke seines Vaters.

Der kleine Muck steckte nun den Dolch in seinen Gürtel, ergriff ein Stöckchen und wanderte zum Tor hinaus. Fröhlich wanderte er den ganzen Tag, denn er war ja ausgezogen, um sein Glück zu suchen. Die Früchte des Feldes waren seine Nahrung und die harte Erde sein Nachtlager.

Am Morgen des dritten Tages erblickte er eine große Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen. Bunte Fahnen schimmerten auf den Dächern und schienen dem kleinen Muck zu winken. „Ja, dort wird der kleine Muck sein Glück finden“, sprach er zu sich selbst, ergriff sein Stöckchen und ging mutig voran.

Er hatte schon einige Straßen der Stadt durchwandert, doch nirgends öffnete sich ihm eine Türe. Da schaute er sehnsüchtig zu einem großen, schönen Haus hinauf, und es öffnete sich ein Fenster. Eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender Stimme:

„Herbei, herbei,
gekocht ist der Brei.
Den Tisch ließ ich decken,
drum lasst es euch schmecken.
Ihr Nachbarn herbei,
gekocht ist der Brei.“

Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Katzen und Hunde hineinlaufen. Er überlegte kurz, ob er der Einladung folgen sollte. Dann stieg er aber die Treppe hinauf, wo ihm die alte Frau begegnete. Sie sah ihn mürrisch an und fragte nach seinem Verlangen. „Du hast doch jedermann zu deinem Brei geladen“, antwortete der kleine Muck. „Ich bin ja so hungrig, und darum bin ich gekommen.“

Die Alte lächelte und sprach: „Woher kommst du denn, du wunderlicher Geselle? Die ganze Stadt weiß, dass ich nur für meine lieben Katzen koche, und hier und da auch mal für die Tiere der Nachbarn.“

Der kleine Muck erzählte nun der alten Frau, wie es ihm nach dem Tod seines Vaters ergangen war. Die Frau mochte den kleinen Muck und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt war, betrachtete die Frau ihn lange und sagte schließlich: „Kleiner Muck, bleibe doch in meinen Diensten! Du hast wenig Mühe und sollst es alle Tage gut haben.“

Der kleine Muck nahm an, auch wenn der Dienst etwas sonderbar war. Frau Ahaszi hatte nämlich zwei Kater und vier Katzen. Die musste der kleine Muck jeden Morgen kämmen und mit köstlichen Salben einreiben. Und wenn Frau Ahaszi ausging, musste er auf die Katzen Acht geben und ihnen die Schüsseln vorlegen. Am Abend legte der kleine Muck die Katzen dann auf seidene Polster und hüllte sie in weiche Decken. Es waren aber auch noch kleine Hunde im Haus, die er bedienen sollte. Das machte aber nicht so viel Umstände, wie bei den verwöhnten Katzen.

Eine Zeit lang ging es dem kleinen Muck ganz gut. Er hatte immer zu essen und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm. Mit der Zeit wurden die Katzen aber unartig. Wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen schönes Geschirr. Wenn die Katzen dann Frau Ahaszi die Treppe heraufkommen hörten, sprangen sie geschwind auf ihre Polster und wedelten artig mit den Schwänzen. Frau Ahaszi geriet jedes Mal in Zorn, wenn sie ihre Zimmer verwüstet sah. Sie schob alles auf den kleinen Muck, obwohl er seine Unschuld beteuerte.

Da beschloss der kleine Muck, den Dienst so bald wie möglich zu verlassen. Nun gab es in dem Haus aber ein Zimmer, das immer verschlossen war. Eines Morgens, als die Frau mal wieder ausgegangen war, zupfte ein Hündlein am Hosenbein vom kleinen Muck. Es schien so, als sollte er dem Hündlein folgen. Muck tat es, und siehe da, das Hündlein führte ihn in das Schlafkammer von Frau Ahaszi. Dort fand er kleine Türe, die er nie zuvor bemerkt hatte. Die Türe stand halb offen. Das Hündlein ging hinein, und Muck folgte ihm.

Jetzt erst merkte er, dass sie in dem Zimmer waren, welches stets verschlossen war. Der kleine Muck schaute sich um, doch er fand nur alte Kleider und wunderlich geformtes Geschirr. Er drehte sich noch ein letztes Mal im Kreise, da fielen ihm zwei mächtig große Pantoffeln ins Auge. Die konnte er für seine anstehende Reise gut gebrauchen, den sein alten Schuhe waren schon fast durchgelaufen. Er zog also schnell seine Schuhe aus und fuhr in die großen Pantoffeln hinein. Dann fand er auch noch in der Ecke ein Spazierstöckchen mit einem schön geschnittenen Löwenkopf. Er nahm es und eilte zum Zimmer hinaus.

Hui, jetzt ging der kleine Muck geschwind in seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief im Sauseschritt zur Stadt hinaus. So schnell war er in seinem ganz Leben noch nicht gegangen. Ja, es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören zu laufen. Eine unsichtbare Gewalt schien ihn einfach fortzureißen. Da merkte er, dass es mit den Pantoffeln eine besondere Bewandtnis hatte. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen, aber es wollte nicht gelingen. In höchster Not rief er schließlich wie bei einem Pferd: „Ho, Ho!“ Da hielten die Pantoffeln an. Erschöpft warf sich Muck auf die Erde und schlief auf der Stelle ein.

Im Traume erschien ihm das Hündlein von Frau Ahaszi, das ihm zu den Pantoffeln verholfen hatte. Es sprach: „Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln nicht recht. Wisse, wenn du dich dreimal auf dem Absatz drehst, kannst du hinfliegen, wohin du nur willst. Und mit dem Stöckchen kannst du Schätze finden. Dort, wo Gold vergraben ist, wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber nur zweimal.“

Als Muck aufwachte, dachte er über den Traum nach und beschloss, einen Versuch zu wagen. Er zog die Pantoffeln an und probierte sich auf dem Absatz zu drehen. Der Arme fiel einige Mal tüchtig auf die Nase, doch ließ er sich nicht abschrecken. Er versuchte es immer wieder, und endlich glückte es.

Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum und wünschte sich in die nächste große Stadt. Die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte und liefen mit Windeseile durch die Wolken. Noch ehe sich der kleine Muck besinnen konnte, war er schon auf einem großen Marktplatz, wo unzählige Menschen geschäftig umherliefen.

Der kleine Muck überlegte nun, wie er sich wohl ein Stück Geld verdienen könnte. Er hatte zwar ein Stöckchen, das ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er suchen? – Auch hätte er sich zur Not für Geld auf dem Markte ausstellen können, aber dafür war er doch zu stolz.

Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße wieder ein, und er beschloss, sich als Schnellläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, dass der König dieser Stadt solche Dienste brauchte, fragte er nun nach dem Palast. Am Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Der kleine Muck antwortete, er wolle als Bote in die Dienste des Königs treten. Da schickte man ihn zum Aufseher der Sklaven.

Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von Kopf bis Fuß und sprach: „Wie willst du denn mit deinen winzigen Füße königlicher Schnellläufer werden? Fort mit dir! Ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren meine Zeit zu vertrödeln.“ Der kleine Muck versicherte ihm aber, dass es ihm ernst sei, und dass er mit dem Schnellsten um die Wette laufen wolle. Das kam dem Aufseher geradezu lächerlich vor, doch er befahl dem Muck, sich bis zum Abend bereitzuhalten. Dann begab sich der Aufseher zum König und erzählte ihm von dem übermütigen kleinen Kerl. Der König war ein lustiger Herr. Es gefiel ihm wohl, und er befahl dem Aufseher, auf einer großen Wiese hinter dem Schloss Anstalten zu treffen.

Am Abend kam der König mit seinen Gefolge dann zu der Wiese und nahm auf einem Gerüst den vordersten Platz ein. Der kleine Muck trat auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, denn mit seinem großen Kopf sah der kleine Muck doch recht merkwürdig aus.

Der Aufseher der Sklaven hatte den besten königlichen Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen, und beide warteten auf das Zeichen. Prinzessin Amarza erhob sich elegant und winkte mit einem Seidentuch. Da flogen die beiden Wettläufer wie zwei Pfeile über die Wiese. Von Anfang hatte der Gegner einen Vorsprung, aber Muck jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk hinterher und holte ihn ein. Als der königliche Läufer dann das Ziel erreichte, stand Muck schon lange da und wippte fröhlich mit seinen Pantoffeln.

Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht. Der König aber klatschte in die Hände. Da jauchzte die Menge, und alle riefen: „Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!“

Er trat nun vor den König, warf sich nieder und sprach: „Großmächtiger König, ich habe Euch eine kleine Probe meiner Kunst gegeben. Wollt Ihr mir nun eine Stelle unter Euren Boten geben!“ Der König antwortete: „Nein, du sollst mein Leibläufer werden, lieber Muck. Du wirst jährlich hundert Goldstücke erhalten, und darfst auch an der Tafel meiner ersten Diener speisen.“

Die übrigen Diener des Königs hörten es mit Schrecken, und sie veranstalteten manche Verschwörung gegen den kleinen Muck, um ihn zu stürzen. Muck bemerkte dieses sehr wohl, sann aber nicht auf Rache, denn dafür hatte er ein zu gutes Herz. Doch in seiner Not fiel ihm wieder sein Stöckchen ein. Wenn er Schätze finden könnte, dachte er, würden ihm die Herren schon geneigter sein.

Der kleine Muck hatte schon oft gehört, dass der Vater des jetzigen Königs Schätze vergraben hatte, als der Feind anrückte. Man sagte auch, der alte König sei darüber gestorben und habe sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Von nun an nahm der kleine Muck immer sein Stöckchen mit und hoffte, die Schätze zu finden.

Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schlossgartens. Plötzlich fühlte er das Stöckchen in seiner Hand zucken. Es schlug dreimal auf den Boden. Da wusste der kleine Muck, was das zu bedeuten hatte. Er schlich sich wieder in das Schloss, verschaffte sich einen Spaten und wartete die Nacht ab.

Als im Schloss dann Ruhe eingekehrt war, schlich sich der kleine Muck wieder in den Garten hinaus. Er grub nun einen harten Klumpen aus, der wie Eisen klang, wenn man darauf klopfte. Es war ein großer Topf, gefüllt mit vielen Goldstücken. Muck konnte den Topf aber nicht anheben. Darum steckte er sich Goldstücke ein, so viel er nur tragen konnte. Das Übrige bedeckte er wieder sorgfältig mit Erde und lief in sein Zimmer zurück.

Jetzt hatte er reichlich Gold und glaubte, damit die Gunst seiner Feinde gewinnen zu können. – Er hätte es eigentlich besser wissen müssen, denn wahre Freunde kann man mit Geld nicht kaufen. –

Das Gold, das der kleine Muck von jetzt austeilte, erweckte nur den Neid der Hofbediensteten, die nichts bekamen. Der Küchenmeister erzählte hinter vorgehaltener Hand: „Muck ist ein Falschmünzer.“ Der Sklavenaufseher flüsterte allen zu: „Der Zwerg hat es dem König abgeschwatzt.“ Und der Schatzmeister, der selbst in die Kasse des Königs gegriffen hatte, behauptete einfach: „Der Muck hat es gestohlen.“

Um nun der Sache ein Ende zu bereiten, trat der Mundschenk eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor den König. Er beklagte sich, dass der König seinen Leibläufer viel zu sehr mit Gold belade, seinen treuen Dienern aber wenig gebe. Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht und ließ sich von den Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen. Nun war es leicht, den Verdacht zu schüren, dass Muck die Schatzkammer bestohlen habe. Diese Wendung war dem Schatzmeister natürlich sehr lieb, konnte er dem Muck doch alles in seine großen Pantoffeln schieben.

Der König gab jetzt den Befehl, alle Schritte vom kleinen Muck heimlich zu überwachen. Dieser beschloss schon bald wieder Goldstücke im Garten zu holen, weil sein Vorrat sich erschöpfte. In tiefster Nacht nahm er den Spaten und schlich hinaus in den Schlossgarten. Die Wachen folgten ihm aber, angeführt vom Küchenmeister und dem Schatzmeister. Als Muck das ausgegrabene Gold einsteckten fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn vor den König. Der Schatzmeister gab an, dass er den Muck überrascht habe, wie er einen Topf mit Gold in die Erde eingraben wollte. Der kleine Muck sagte aber, dass er diesen Topf im Garten entdeckt habe. Er habe ihn nicht ein-, sondern ausgraben wollen. Da lachten alle laut und der König rief: „Schatzmeister! Ist das Gold im Topf aus meinem Schatz?“ „Ja, mein Gebieter!“, antwortete der Schatzmeister. “ Es entspricht genau der Menge, die im königlichen Schatz fehlt.“ Da befahl der König, den kleinen Muck in Ketten zu legen. Dem Schatzmeister übergab er aber das Gold des kleinen Muck, um es in die Schatzkammer zu bringen.

Als dem kleinen Muck am anderen Tage auch noch sein Todurteil verkündet wurde, sagte er zu sich selbst: „Es ist vielleicht besser, wenn ich dem König das Geheimnis meines Zauberstöckchens verrate.“ Und so geschah es. Der König war erstaunt, doch er versprach, den kleinen Muck nicht zu töten, wenn er eine Probe mit dem Stöckchen bestehen könne. Der König befahl nun seiner Leibwache, einen Sack mit Gold an der Schlossmauer heimlich zu vergraben. Der kleine Muck fand ihn aber mit dem Stöckchen schnell, denn es schlug vor aller Augen dreimal aus.

Da merkte der König, dass der Schatzmeister gelogen hatte, und ließ ihn in den Kerker werfen. Zum kleinen Muck aber sprach er: „Ich habe dir dein Leben versprochen. Mir scheint aber, dass du noch andere Geheimnisse vor mir hast. Sage mir, wie du das mit dem Schnelllauf machst, oder du wirst auf ewig mein Gefangener bleiben.“

Der kleine Muck gab nun zu, dass seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege. Doch er sagte den König nicht, wie man die Pantoffeln gebrauchen musste. Der König schlüpfte nun selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher. Oft wollte er anhalten, doch er wusste beim besten Willen nicht wie. Der kleine Muck grinste ein wenig und ließ den König einfach weiterlaufen, bis dieser ohnmächtig zu Boden fiel.

Als der König wieder zur Besinnung kam, schimpfte er schrecklich über den kleinen Muck. Dann aber sagte er: „Ich habe dir mein Wort gegeben, dich frei zu lassen. Siehe zu, dass du in zwölf Stunden mein Land verlassen hast, sonst lasse ich dich aufknüpfen!“ Dann nahm der König die Pantoffeln und das Stöckchen und brachte sie in seine Schatzkammer.

Der arme Muck beeilte sich, rechtzeitig aus dem Land zu kommen und legte sich müde in einem Wald zur Ruhe. Am nächsten Morgen hingen aber, oh Wunder, köstliche Feigen an dem Baum, unter dem er geschlafen hatte. Muck stieg hinauf und ließ es sich gut schmecken. Dann ging er hinunter an den Bach, um seinen Durst zu löschen. Doch wie groß war sein Schrecken, als er seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, langen Nase im Wasser sah! Geschwind griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich, sie waren da. „Ich verdiene Eselsohren!“, rief er aus. „Warum habe ich nur mein Glück wie ein Esel mit Füßen getreten?“

Verzweifelt wanderte er lange unter den Bäumen umher. Als er aber wieder den Hunger spürte, kletterte er erneut in einen Baum und aß von den köstlichen Feigen. Und siehe, die riesigen Ohren und die lange Nase waren mit einem Male wieder verschwunden.

Jetzt wusste der kleine Muck, wie es gekommen war. Schnell ging er zu dem ersten Baum zurück und pflückte dort so viele Feigen, wie er nur tragen konnte. Dann besorgte er sich in einem kleinen Dorf einen großen Hut und andere Kleider, und ging gut verkleidet in die Stadt des Königs.

Es war gerade die Jahreszeit, in der die reifen Früchte noch ziemlich selten waren. Darum setzte sich der kleine Muck vor das Tor des Palastes, denn er wusste, dass der Küchenmeister dort für die königliche Tafel kaufte. Muck hatte noch nicht lange gesessen, da kam der Küchenmeister schon über den Hof. Er musterte die Waren der Händler, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten. Da fiel sein Blick auch auf die Feigen von Muck. „Ah, ein seltener Bissen“, sagte der Küchenmeister, „das wird unserer Majestät gewiss behagen. Was willst du für deine Ware?“ Der kleine Muck sagte seinen Preis, und sie waren sich bald einig. Der Küchenmeister übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter. Der kleine Muck aber machte sich aus dem Staub und ging wieder über die Grenze.

Der König war bei Tisch sehr heiter gestimmt und lobte seinem Küchenmeister für seine gute Küche. Der Küchenmeister schmunzelte nur freundlich. Als er aber die schönen Feigen aufsetzen ließ, da machte ein großes „Ah!“ die Runde. Der König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, teilte mit eigener Hand die Feigen aus. Jeder bekam eine, und er selbst aß gleich drei.

„Du lieber Gott!“, rief auf einmal Prinzessin Amarza. „Was geschieht mit dir, Vater?“ Alle sahen den König erstaunt an. Ungeheure Ohren hingen an seinem Kopf, und eine lange Nase fiel über sein Kinn herunter. Jetzt betrachten sich alle gegenseitig, und es war immer das Gleiche. Man schickte nach den Ärzten, aber sie konnten die Ohren und Nasen nicht zum Schrumpfen bringen. In ihrer Not operierten die Ärzte sogar einen Prinzen, doch die Ohren wuchsen einfach nur nach.

Muck hatte die ganze Geschichte von Reisenden gehört und erkannte, dass es jetzt an der Zeit war, zu handeln. Er ging zu dem zweiten Feigenbaum, der ihn von seinen Qualen erlöst hatte, und pflückte so viele Feigen, wie er tragen konnte. Dann besorgte er sich einen langen Bart aus Ziegenhaaren und die Kleidung von einem verstorbenen Arzt. So wanderte er wieder verkleidet zum Palast des Königs und bot seine Hilfe an. Man war zunächst sehr ungläubig. Doch da gab der fremde Arzt der Prinzessin eine Feige, was Ohren und Nase wieder in den alten Zustand versetzte. Jetzt wollten auch die anderen geheilt werden, darum bekam jeder eine Feige, nur nicht der König selbst. Der fremde Arzt hielt die letzte Feige hoch und fragte, welchen Lohn er für seine Dienste erwarten könne. Da führte der König ihn in seine Schatzkammer und sprach: „Hier sind meine Schätze. Wähle, was es auch sei. Es soll dir gehören, wenn du mir die Feige gibst.“

Das war süße Musik in den Ohren des kleinen Muck. Er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, und gleich daneben lag auch sein Stöckchen. Er ging nun umher in der Kammer, und tat so, als wolle er sich etwas aussuchen. Kaum aber war er bei seinen Pantoffeln, schlüpfte er hinein und ergriff sein Stöckchen. Dann riss er seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten König seine wahre Gestalt.

„Treuloser König“, rief er, „du hast meine treuen Dienste mit Undank belohnt. Nimm als Strafe die Missgestalt, die du trägst. Ich lasse sie dir zurück, damit du dich täglich an den kleinen Muck erinnerst.“ Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell dreimal auf dem Absatz und wünschte sich weit weg. Noch ehe der König um Hilfe rufen konnte, war der kleine Muck verschwunden.

Ja, so hat es mir mein Vater erzählt. – Dann gab er mir die andere Hälfte des Gewöhnlichen.

Ich beeilte mich nun und erzählte die Geschichte meinen Kameraden weiter. Wir haben den kleinen Muck nie wieder beschimpft. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte. Und wir haben uns vor ihm immer wie vor einem Kadi oder Mufti gebückt.“

Werbung

Sächsischer Bohnensalat

Bohnen sind reich an Eisen, Kalzium, Kalium sowie an Vitamin C und verschiedenen B Vitaminen.
Ihr Gehalt an Ballaststoffen machen sie zum Heilmittel für den Darm, da Ballaststoffe die Verdauung regulieren und Gift- und Fettstoffe binden.
Der Reichtum an Nukleinsäuren macht Bohnen zu einem wirksamen Verjüngungsmittel für unsere Körperzellen.
Reich sind sie auch an Eiweiß, das wichtiger Rohstoff für unseren gesamten Zellstoffwechsel ist.

Bei mir gibt es sie heute in einem sächsischen Salat.

Dafor brauch’sch:

e Pfund Bohn
eene grosse Gemisezwiebl
zwee kleene, schorfe Zwiebln
Schniddlauch mid Blide
Dille
Pfeffor un Salds
Olivnöl un Esssch


De Bohn pudz’sch un zieh dobei evenduell vorhandne Fädn ab. Sin ober gaum welsche dran, weil’s noch jungsche Bohn sin.
De Schnibbelei dauerd och ne lange, gud rieschen dud’s, wenn’sch se brechn du, fasd wie frisches Groass.
Dann gomm’se in sprudlndes Wosser, storg gesaldzn hab’schs.
Zwanzsch Minuden gochen lossn, dann de Bohn abgiiessn un gud abdroppn lossn.
In dor Zwischnzeed schneid’sch de Zwiebln un dn Schniddloch och.


De scheen Bliden zupp’sch nei, ’s Oche issd och mid, nor.
Pfeffor un Dille gommd nei, Olivnöl un Esssch noch Gschmag.


Wischdsch is es, dass de Bohn noch worm sin, wenn ‚ se in de Mengenke gomm, nur so ziehn‘ se rischdsch gud.


Jedes Böhnschn gibd e Dönschn.:-)

Märchenzeit

Die Nachtigall und die Rose

Oscar Wilde

Übersetzt von Nadine Stark, © 2004

»Sie sagte, dass sie mit mir tanzen würde, wenn ich ihr rote Rosen brächte,« rief der junge Student; »aber in meinem ganzen Garten gibt es keine einzige rote Rose.«
Von ihrem Nest in der Steineiche hörte ihn die Nachtigall, schaute durch die Blätter und wunderte sich.
»Keine einzige rote Rose in meinem ganzen Garten!«, rief er, und seine schönen Augen füllten sich mit Tränen. »Ach, von welch kleinen Dingen das Glück abhängt! Ich habe alles gelesen, was kluge Menschen geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein; nun, da ich einer einzigen rote Rose bedarf, ist mein Leben elend.«
»Das ist endlich ein wahrer Liebender,« sagte die Nachtigall. »Nacht für Nacht sang ich von ihm, dachte, ich kenne ihn nicht: Nacht für Nacht erzählte ich seine Geschichte den Sternen und erst jetzt erkenne ich ihn. Seine Haar ist dunkel wie Hyazinthenblüten, und seine Lippen sind rot wie die Rose seines Verlangens; aber Leidenschaft hat sein Gesicht blass wie Elfenbein werden lassen und Sorgen haben ihr Siegel über seinen Augenbrauen hinterlassen.«
»Der Prinz gibt morgen Abend einen Ball,« murmelte der junge Student, »und meine Liebste wird bei der Gesellschaft sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir bis zur Morgendämmerung tanzen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, kann ich sie in meinen Armen halten, und sie wird ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in meiner liegen. Aber es gibt keine rote Rose in meinem ganzen Garten, also werde ich alleine bleiben und sie wir an mir vorübergehen. Sie wird sich nicht für mich erwärmen und mein Herz wird brechen.«
»Das ist wirklich der wahre Liebende,« sagte die Nachtigall. »Worüber ich singe, läßt ihn leiden, was meine Freude ist, ist sein Kummer. Sicher ist Liebe etwas wundervolles. Sie ist edler als Smaragde und kostbarer als herrliche Opale. Perlen und Granatäpfel können sie nicht erwerben, noch wird sie auf dem Marktplatz feilgeboten. Von keinem Händler kann sie erworben werden, auch in Gold ist sie nicht aufzuwiegen.«
»Die Musiker werden auf dem Podium sitzen,« sagte der junge Student, »und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Liebe wird zum Klang der Harfe und der Violine tanzen. Sie wird so leicht dahinschweben, dass ihre Füße den Boden nicht berühen und die Verehrer in ihrer glänzenden Kleidung sich um sie drängen. Aber mit mir wird sich nicht tanzen, da ich keine rote Rose habe um sie ihr zu geben«; und er warf sich ins Gras und vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte.
»Warum weint er?«, frage die kleine grüne Eidechse, als sie mit erhobenem Schwanz an ihm vorbei lief.
»Warum nur?«, sagte der Schmetterling, der einem Sonnenstrahl hinterher flatterte.
»Warum nur?«, flüsterte ein Gänseblümchen zu ihrer Nachbarnin, in einer weichen, sanften Stimme.
»Er weint um eine rote Rose«, sagte die Nachtigall.
»Um eine rote Rose?« riefen sie; »wie lächerlich!« und die kleine Eidechse, die so etwas wie eine Zynikerin war, lachte laut auf.
Aber die Nachtigall verstand das Geheimnis des Kummers des Studenten, und sie saß schweigend in der Steineiche und dachte über das Mysterium der Liebe nach.
Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus zum Flug und stieg in die Luft. Sie flog durch den Hain wie ein Schatten, und wie ein Schatten schwebte sie quer durch den Garten.
In der Mitte des Rasens stand ein wunderschöner Rosenstrauch, und als sie ihn sah, flog sie über ihn und landete auf einem Zweig.
»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«
Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.
»Meine Rosen sind weiß,« antwortete er; »weiß wie die Gischt des Meeres und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh‘ zu meinem Bruder, der an der alten Sonnenuhr wächst, vielleicht kann er dir geben was du wünschst.«
So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch, der an der Sonnenuhr wächst, hinüber.
»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«
Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.
»Meine Rosen sind gelb,« anwortete er; »so gelb wie das Haar der Meerjungfrau, die auf dem Bernsteinthron sitzt und gelber noch als die Narzisse, die auf der Wiese blüht bevor der Mäher mit der Sense kommt. Aber geh‘ zu meinem Bruder, der unter dem Fenster des Studenten wächst, vielleicht kann er dir geben was du wünscht.«
So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch hinüber, der unter dem Fenster des Studenten wuchs.
»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«
Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.
»Meine Rosen sind rot,« antwortete er, »so rot wie die Füße einer Taube und roter als die weiten Korallenriffe, die in der Tiefe des Meeres wogen und wogen. Aber der Winter hat meine Adern verfroren, der Frost hat meine Knospen im Keim erstick und der Sturm hat meine Zweige gebrochen, ich werde wohl in diesem Jahr keine Rosen haben.«
»Eine rote Rose ist alles was ich will,« rief die Nachtigall, » nur eine rote Rose! Gibt es den keinen Weg diese zu bekommen?«
»Es gibt einen Weg,« sagte der Rosenstrauch; »aber er ist so schrecklich, dass ich nicht wage ihn dir zu erzählen.«
»Sag ihn mir,« sagte die Nachtigall, »ich fürchte mich nicht.«
»Wenn du eine rote Rose willst,« sagte der Rosenstrauch, »musst du sie bei Mondlicht aus Musik formen und färben durch dein eigenes Herzblut. Du sollst zu mir singen mit deinem Brust an meinem Dorn. Die ganze Nacht lang sollst du singen und der Dorn wird dein Herz durchbohren, dein Lebensblut soll in meine Adern fließen und zu meinem werden.«
»Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose,« rief die Nachtigall,« und das Leben ist jedem teuer. Es tut so gut, in grünen Wäldern zu sitzen, die Sonnengondel zu schauen und den Mond in seiner Perlengondel. Süß ist der Duft des Weißdorns, süß sind die Glockenblumen, die sich im Tal verbergen und das Heidekraut, das an den Hügeln blüht. Aber die Liebe ist mehr als das Leben und was ist das Herz eines Vogels verglichen mit dem Herzen eines Mannes?«
Und so breitete sie ihre braunen Flügel zum Flug aus und stieg auf in die Luft. Sie schwebte über den Garten wie ein Schatten und wie ein Schatten segelte sie durch den Hain.
Der junge Student lang noch immer im Gras, wo sie ihn zurückgelassen hatte und seine Tränen waren noch nicht trocken in seinen wunderschönen Augen.
»Sei fröhlich,« rief die Nachtigall, »sei fröhlich; du wirst deine rote Rose bekommen. Ich werde sie aus Musik formen bei Mondlicht und sie färben mit meines Herzens Blut. Alles, worum ich dich dafür bitte, ist ein wahrer Liebender zu bleiben, denn Liebe ist weiser als Philosophie, obgleich diese weise ist, und mächtiger als die Macht, obgleich diese mächtig ist. Flammenfarben sind ihre Flügel und gefärbt wie eine Flamme ist ihr Körper. Ihre Lippen sind süß wie Honig und ihr Atem ist wie Weihrauch.«
Der Student schaute aus dem Gras auf und lauschte, aber er verstand nicht, was die Nachtigall zu ihm sagte, da er nur kannte, was in Büchern niedergeschrieben steht.
Aber die Eiche verstand es und wurde traurig, da sie die kleine Nachtigall sehr lieb gewonnen hatte, die ein Nest in ihren Ästen gebaut hatte.
»Sing mir ein letztes Lied,« flüsterte er ; »ich werde sehr einsam sein, wenn du fort bist.«
Also sang die Nachtigall zur Eiche und ihre Stimme sprudelte wie Wasser aus einer Silberquelle.
Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf, zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus seiner Tasche hervor.
»Sie hat Format,« sagte er zu sich selbst als er durch den Hain fortging, »das kann man ihr nicht absprechen; aber hat sie auch Gefühle? Ich fürchte nein. Eigentlich ist sie wie alle Künstler; sie hat nur Stil ohne die geringste Ernsthaftigkeit. Sie würde sich nicht selbst für andere aufopfern. Sie denkt bloß an Musik und jeder weiß, dass die Künste selbstsüchtig sind. Trotzdem muss ihr zugestanden werden, dass sie einige wunderwolle Töne in ihrer Stimme hat. Wie schade, dass sie keine Bedeutung haben oder irgendeinen praktischen Nutzen.« Und er ging in sein Zimmer, legte sich auf sein kleines Stohbett und begann an seine Liebste zu denken; und nach einer Weile schlief er ein.
Als der Mond am Himmel schien, flog die Nachtigall zum Rosenstrauch und drückte ihre Brust gegen einen Dorn. Die ganze Nacht lang sang sie mit ihrer Brust gegen den Dorn und der kalte kristalklare Mond beugte sich herunter und lauschte. Sie sang die ganze Nacht hindurch und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust und ihr Lebensblut wich von ihr.
Sie sang zunächst von der aufkeimenden Liebe im Herzen eines Jungen und eines Mädchens. Und am höchsten Zweig des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose, Blütenblatt folgte auf Blütenblatt, wie ein Lied auf das nächste folgte. Blass war sie anfangs, wie leichter Nebel, der über dem Fluß liegt. Blass wie Fußspitzen des Morgens und silbern wie die Flügel des beginnenden Tages. Wie das Bild einer Rose in einem Spiegel aus Silber, wie das Bild einer Rose in einem Wasserbassin, so war die Rose, die am höchste Zweig des Rosenstrauchs erblühte.
Aber die Rose rief zur Nachtigall, sie solle sich kräftiger gegen den Dorn pressen. »Noch kräftiger« rief die Rose, »oder der Tag beginnt bevor die Rose fertig ist.«
So drückte sich die Nachtigall sich kräftiger gegen den Dorn und lauter und lauter wurde ihr Gesang, als sie von der Geburt der Leidenschaft in der Seele eines Mannes und einer Maid sang.
Und ein zarte Hauch von Rosa legte sich über die Blätter der Rose wie der Hauch im Gesicht des Bräutigams, wenn er die Lippen der Braut küsst. Aber der Dorn hatte noch nicht ihr Herz erreicht, so dass das Herz der Rose weiß blieb, da nur das Herzblut der Nachtigall das Herz einer Rose blutrot färben kann.
Und die Rose rief zur Nachtigall sie solle sich noch kräftiger gegen den Dorn drücken. »Noch kräftiger« rief die Rose, »oder der Tag beginnt bevor die Rose fertig ist.«
Und so presste sich die Nachtigall stärker gegen den Dorn, der Dorn berührte ihr Herz und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz und immer wilder wurde ihr Gesang, als sie von der Liebe sang, die durch den Tod vervollkommnet wird, von der Liebe, die nicht einmal im Grab stirb.
Und die wundervolle Rose wurde blutrot, wie die Rose am östlichen Himmel. Blutrot war der Ring der Blütenblätter und blutrot wie ein Rubin war das Herz.
Aber die Stimme der Nachtigall wurde matter und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern, ein Nebelschleier legte sich über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Gesang und sie fühlte ihre Kehle immer enger werden.
Dann gab sie einen letzten Schwall Musik von sich. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß die Morgendämmerung und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und sie bebte überall voll Verzückung und öffnete ihre Blütenblätter in der kalten Morgenluft. Ein Echo trug ihn zu seinen purpurnen Höhlen in den Bergen und weckte die schlafenden Schäfer aus ihren Träumen. Er glitt durch das Schilf am Fluß und es trug die Nachricht weiter zum Meer.
»Sieh nur, sieh!« rief der Rosenstrauch, »die Rose ist jetzt fertig«; aber die Nachtigall gab keine Antwort, da sie tot im langen Gras lag mit einem Dorn in ihrem Herzen.
Und als es Mittag wurde, öffnete der Student sein Fenster und sah hinaus.
»Welch großes Glück!« rief er; »Hier ist eine rote Rose! Ich habe in meinem ganzen Leben nie eine Rose wie diese gesehen. Sie ist so wunderschön, dass ich sicher bin, sie hat einen langen lateinischen Namen«; und er lehnte sich aus dem Fenster und brach sie.
Dann setzte er sich seinen Hut auf und lief zum Haus des Professors mit der Rose in seiner Hand.
Die Tochter des Professors wickelte blaue Seide zu einem Knäul, während sie im Eingang saß, ihr kleiner Hund lag zu ihren Füßen.
»Sie sagten«, rief der Student, »sie würden mit mir tanzen, wenn ich Ihnen eine rote Rose brächte. Hier ist die roteste Rose in der ganzen Welt. Sie können sie heute abend an Ihrem Herzen tragen und wenn wir tanzen, wird sie Sie daran erinnern, wie sehr ich Sie liebe.«
Jedoch das Mädchen runzelte die Stirn.
»Ich fürchte, sie wird nicht zu meinem Kleid passen,« antwortete sie; »und nebenbei bemerkt hat mir der Neffe des Kämmerers echte Juwelen geschickt und jeder weiß doch, dass Juwelen viel teurer sind als Blumen.«
»Nun, glauben Sie mir, Sie sind sehr undankbar,« sagte der Student ungehalten; und er warft die Rose auf die Straße, wo sie in den Rinnstein fiel und das Rad eines Wagens über sie rollte.
»Undankbar!« rief das Mädchen. »Ich sagen Ihnen, Sie sind sehr unverschämt; und alles in allem, wer sind sie schon? Bloß ein Student. Ich glaube nicht, dass Sie Silberschnallen an Ihren Schuhen haben, wie sie der Neffe des Kämmerers trägt«; und sie stand von ihrem Stuhl auf und ging ins Haus.
»Welch töricht Ding die Liebe ist,« sagte der Student als er davon ging. »Sie ist nicht halb so brauchbar wie die Logik, da sich mit ihr nichts beweisen läßt und sie erzählt immer von Dingen, die niemals geschehen werden, sie läßt einen Dinge glauben, die nicht wahr sind. Wirklich, sie ist sehr unpraktisch und heutezutage ist praktisch zu sein alles, ich sollte wieder zur Philosophie zurückkehren und Metaphysik studieren.«
Also kehrte in sein Zimmer zurück, zog ein verstaubtes dickes Buch hervor und begann zu lesen.

33 Grad im Schatten oder Eiskaffee

Der Sommer ist zurück und die Hundstage hinterlassen ein hecheln. Zeit für eine Erfrischung – Zeit für Eiskaffee.

Es braucht nicht viel dafür:

400 ml Kaffee

200 ml Vanilleeis

125ml Schlagsahne

Schokostreuseln.

Die Kaffeemaschine habe ich die Bohnen frisch mahlen lassen, den Kaffee selber stark gekocht – schon am frühen Morgen – und ihn kalt gestellt.

Vanilleeis

https://teil2einfachesleben.wordpress.com/2015/08/03/eisiges/

ist vom Sonnabendbesuch der Schaukelinhaberin noch übrig. Ich habe es nicht angetaut, sondern eiskalt in eiswürfelgroßen Stücken in hohe Gläser gefüllt, bis hoch zum Rand, den gekühlten Kaffee darüber gegossen und die frisch geschlagene Sahne darauf gegeben. Schokostreusel müssen unbedingt oben drauf.

Ein eiskaltes Vergnügen.

Sonntagsgeschichten

Blumentod
Annette von Droste-Hülshoff

Wie sind meine Finger so grün,
Blumen hab‘ ich zerrissen;
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen.
Sie neigten sich in mein Angesicht
Wie fromme schüchterne Lider,
Ich war in Gedanken, ich achtet’s nicht
Und bog sie zu mir nieder,
Zerriß die lieben Glieder
In sorgenlosem Mut.
Da floß ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder;
Sie weinten nicht, sie klagten nicht,
Sie starben ohne Laut,
Nur dunkel ward ihr Angesicht,
Wie wenn der Himmel graut.
Sie konnten mir’s nicht ersparen,
Sonst hätten sie’s wohl getan;
Wohin bin ich gefahren
In trüben Sinnens Wahn?

O töricht Kinderspiel,
O schuldlos Blutvergießen!
Und gleicht’s dem Leben viel,
Laßt mich die Augen schließen,
Denn was geschehn ist, ist geschehn,
Und wer kann für die Zukunft stehn?