Erinnerungen – die Küche meiner Großeltern

Eine weiß lackierte Holztür ist Eingang zur Küche meiner Großeltern. Die Wände hat mein Großvater selbst gebaut. Er ist gelernter Maler. Mit einer Walze hat er bunte Muster auf die gekalkten Wände gemalt. Ich frage meine Großmutter, was der Großvater arbeitet. Er ist Maler sagt sie. Für mich Kind malen Maler Bilder, meine Großmutter erklärt mir den Unterschied nicht. Sie ist stolz auf ihren Mann. Meine Großmutter kenne ich kaum anders als in mit Blumen bedruckten Kittelschürzen.

In der Küche stehen helle Holzmöbel. Eine Anrichte mit Glasscheiben. Kleine Stoffgardienen hängen, innen angebracht, in ihnen. Oben das Kaffeegeschirr, unten in den fensterlosen Schränken das Essgeschirr. Auf der linken Seite hat mein Großvater seine geliebten Süßigkeiten gelagert, rechts hat meine Großmutter immer etwas Geld liegen. Oft wenn ich sie besuche, bekomme ich etwas davon zugesteckt. Neben der Anrichte steht ein flaches Schränkchen. Es ist der Abwaschtisch. Unten in seinen Seitenflügeln befinden sich die Töpfe und Pfannen. Auf der großen Arbeitsplatte bereitet meine Großmutter das Essen zu. Herrliche Sachen, nie muss ich aufessen, wenn ich es nicht will. Tue es aber doch, weil es nur Gerichte gibt, die ich mag. Gleich unter der Platte befinden sich zwei Griffe, ziehe ich an ihnen, dreht sich ein Einsatz heraus, in dem zwei Schüsseln Platz finden. In ihnen wird das Geschirr gespült. Das heiße Wasser dazu wird nicht mehr auf dem Herd erhitzt, ein Boiler hängt dafür an der gegenüber liegenden Wand. Die Kacheln dahinter sind mit Abziehbildern beklebt. Meine Schwester hat nach ihrer Geburt im Haus gelebt. Für sie haben die Großeltern die Bildchen in Wasser eingeweicht, solange bis sie sich vom Papier lösten und auf einen anderen Untergrund aufgeklebt werden konnten. So wohl ich mich bei den Großeltern fühlte, immer war für mich spürbar, dass ich nicht das im Haus aufgewachsene Enkelkind bin.

Neben der Tür steht der viereckige Esstisch. Sitze ich an ihm, kann ich durch das Fenster in den Garten schauen. An der Wand steht eine kleine Eckbank. Grün sind ihre Poster, auf sie kann ich mich, klein wie ich bin, legen. Schlafen, ausruhen, träumen. Niemals allein bin ich dort. Ein guter Ort. Noch heute ist genau diese Stelle im Haus mein Lieblingsplatz. Größer ist das Fenster in den Garten geworden, größer auch meine Sofabank davor. Ich selbst werde an dieser Stelle wieder klein.

An der Wand die den Schornstein führt, dort wo heute mein Kamin steht, war ein Gasherd mit Beistellofen. Immer war er gut geheizt. Wie sollte das Haus sonst warm werden? Die eingeheizte Energie wurde nicht verschwendet. Ein Dampfkessel hatte stets heißes Wasser parat. Am äußeren Rand der Platte stand oft ein kleines Töpfchen. Meine Großmutter kochte darin mein Lieblingsessen. Ein kleines Stück Rindfleisch kochte sie in Sauerkraut so lange, bis es weich von selbst auseinandefiel. Geselchtes nannte sie dieses Gericht, das ich liebte und das ich bekam, wenn dem Großvater seine geliebten Buttermichgetzen gebacken wurde. Schmeckt wie im Gasthaus sagte er nach jedem Essen und meinte das als Kompliment an die Kochkunst seiner Frau. Der Speck der in den Getzen war, war mir ein Schrecken. Heute zählen sie zu meinen Lieblingsgerichten. Die Pfanne in der meine Großmutter es zubereitete besitze ich noch. Allein, der Gärtnergatte mag dieses Essen nicht. Irgendwann wird er demnächst dran glauben müssen.

Irgendwann kauften meine Großeltern einen kleine, elektrische Backform. In ihr buk meine Großmutter Windbeutel. Sie schnitt die duftigen Gebilde auf und fühlte sie mit frisch geschlagener Sahne. Ein himmlischer Schmaus, der im Juni durch frische Erdbeeren aus dem Garten vollkommen wurde.

Überhaupt, was die Großmutter täglich alles für gute Sachen kochte. Nudelsuppe mit selbstgemachten Nudeln. Als ich noch ganz klein war, kam sogar das Huhn dafür aus dem eigenem Garten. Die Großmutter sehe ich noch, es auf einem blauen Tuch mit weißen Punkten liegend, unter dem Apfelbaum sitzend, das Huhn rupfend. Vorher hatte sie ihm den Kopf abgehauen. Der Großvatter konnte so etwas nicht. Die Suppe ass er gern.

Manchmal gab es Wickelklöße. Dazu wurden zwei Mehlsorten mit Kartoffeln und Ei vermischt, der Teig dann dünn ausgerollt und mit zerlassener Butter bestrichen, mit Semmelbröseln bestreut und zu einer Rolle geformt. Von dieser wurden dünne Scheiben geschnitten, die Ränder platt gedrückt und mit Eigelb bepinselt. Dann kamen die Teigstücke in kochendes Salzwasser. Dazu der Sonntagsbraten meiner Großmutter und Sauerkraut, frisches natürlich, keine Konserve, in der die wichtigen Milchsäurebakterien fehlen.

Bratkartoffeln gab es oft, grüne Klitscher und Klöße und Eierkuchen mit selbst gemachten Apfelmus. Fast meine gesamten Ferien habe ich bei den Großeltern verbracht und kaum ein Essen gab es zweifach in dieser Zeit. Nach dem Essen ging der Großvater in die Stube, legte sich in seinen Schaukelstuhl und hielt ein Nickerchen. Dann hatte ich die Großmutter für mich allein und war glücklich dabei.

Die schönsten Stunden meiner Kinderjahre habe ich in der Küche meiner Großeltern verbracht. Am Küchentisch durfte ich malen, mit selbstgekochtem Knochenleim ( der nie richtig hielt ) kleben, immer fanden meine Großelten Zeit für mich. Die Erinnerung an diese guten Jahre hat mir in Zeiten die nicht leicht waren, immer weiter geholfen. Nirgendwo habe ich mich so sicher und behütet gefühlt wie an diesem Ort.

Ob ein Radio in der Küche stand? Ich erinnere mich nicht mehr. An die Küchenlieder meiner Großmutter dagegen schon.

44 Antworten zu “Erinnerungen – die Küche meiner Großeltern

  1. Schön, solche Erinnerungen;
    sie sind das Fortleben derer, die einen geprägt haben !

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  2. Nach deiner Beschreibung kann ich mir die Küche genau vorstellen. Ich spüre die Wärme des Ofens und rieche das leckere Essen.
    Danke und LG sk

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  3. Glücklich wer solche Wärme noch spüren durfte. Traditionen und Lebensweisheiten vermischt mit Liebe erhalten hat.
    Arme Kinder die heute in Spielgruppen und Hort von Fremden betreut aufwachsen. Was für ein Rückschritt ist doch der sogenannte Fortschritt.
    Dein liebevoller Text löst eine riesige Menge an Gedanken aus …
    Herzliche Grüsse, Bernhard

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    • Lieber Bernhardt, im Hort war ich die Woche über auch und fand es schrecklich. So schön der Kontakt zu anderen Kindern ist, zu Hause war und ist mein Lieblingsort.
      Einen guten Tag wünsche ich.

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  4. gestern las ich einen Spruch: es kommen jetzt Grosseltern auf uns zu, die nicht kochen können, aber rauchen und ein Tatoo am Hintern haben …
    auch ich erinnere mich gerne an meine Grossmutter, sie war Halt und Segen in meinem Kinderleben, sie ging als ich 8 Jahre alt war, das war ein sehr grosser Schmerz!
    Wenn ich dich jetzt richtig verstehe, lebt ihr im Grosselternhaus?
    herzliche Grüsse
    Ulli

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  5. Wunderbar, liebe Arabella, dieser Blick zurück zu deinen Großeltern und dir als kleinem Mädchen,

    berührend und voller wörtlicher Liebe, dankeschön 🙂

    Hab einen schönen Tag!
    Liebe Morgengrüße vom Lu

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  6. Das sind schöne Erinnerungen. Gut, dass du sie festhältst!
    Genau dieses Spülbuffet, von dem du schreibst, hatten meine Uroma und Oma auch. Wenn man mal zu faul war zum Abwaschen, hat man das dreckige Geschirr einfach in die Schüsseln gestellt, wieder zu geschoben und zack, alles war sauber. Fast (naja nur ganz fast) wie beim Geschirrspüler heute. Spülen musste man später ja trotzdem. Hast du ein gutes Rezept für die Wickelklöße? Bei uns gab es sie immer am 1. Weihnachtsfeiertag. Ich würde sie so gerne mal wieder essen.

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  7. Gar hold und tugendhaft! Mancher alte Liedtext hat es ziemlich in sich. Wir staunten nicht schlecht bei der Zeile „Das Blut zum Himmel spritzte…“ – hatten das vermeintlich langweilige „Sabinchen“ in einem alten Volksliederbuch gefunden und siehe da, was man sich früher schon getraut hat! Eine tolle Geschichte übrigens. Ich höre noch das Radio knistern…

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  8. Schöne Erinnerungen Arabella. Ich erinnere mich immer an die Hände meiner Uroma und an den Küchenschrank meiner Großeltern, dort lagerten die Süßigkeiten. Meine Oma legte überall weiße Deckchen hin mit Spitze, ich vergesse das nur. 😊 LG Maren

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  9. Danke für den Einblick in diese Welt. Ich habe groß(mütig)e Eltern. Ob das auch zählt? Dabei ist meine Mama sogar kleiner als ich und nennt MICH „kleines Mädchen.“ Grrrr … 😀

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  10. Und wieder ist ein kleines und feines Kapitel fertig und es liegt dicht an meiner Kindheit, nur das sich an die Küche ein großer Wintergarten anschloss, welcher als Esszimmer genutzt wurde und an drei Seiten riesige Glasfenster hatte und Glastüren zur Küche, wo einen der Duft immer hinzog 😉

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  11. danke , dass du mich dich etwas mehr kennen lernen lässt, einen guten Tag wünsche ich dir

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  12. Eine wunderschön erzählte Erinnerung. Bei vielem wurde ich an meine eigene Großmutter erinnert. Die väterlicherseits. Übrigens am Rande: Die Technik mit dem Walzenmuster sehe ich oft in einem alten Ferienhaus in Ligurien. So nahe standen sich die Gewerke.

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  13. Ich bin selbst leider nicht Großmutter geworden. Das ist wohl die Strafe dafür, dass ich Küchen stets vermied. Was soll das für ne Großmutter sein, die nicht kocht und nicht backt? sprach die Fee und ließ mich leer ausgehen 😦

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  14. Wir lieben es mit Dir in Deinen Erinnerungen zu schwelgen. Und wie schön muss es für Deine Kinder und die Schaukelinhaberin sein? Wunderbar!

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  15. Ich danke Ihnen für Ihre Erinnerungen.
    Ja, die Grosseltern. zu ihnen hat man meistens ein ganz eigenes, besonderes Verhältnis.
    Und die alten Küchen mit ihren Funktionsmöbeln und die Gerätschaften, gusseisern und noch handbetrieben. Vielleicht haben wir deshalb so innige Erinnerungen daran, weil Küchen noch so etwas wie Werkstätten waren. Heute hat man oft eher den Eindrucks eines sterilen Labors.
    Wo gibt es denn noch den grossen Küchentisch, diese Werkbank des Lebens für so viele alltägliche Arbeiten?
    Morgendlichsonnige Grüsse,
    Herr Ärmel

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  16. D.h. ihr lebt jetzt im Haus deiner Großeltern? Oder habe ich das falsch verstanden? Toll, wenn die Familie über Generationen mit einem Ort verwurzelt.

    Diese Aufweich-Abzieh-Bildchen … ouh Hölle. Die gingen an bestimmten Untergründen (Kacheln *hust*) nicht.mehr.weg. Wie meine Großeltern – sehr zu ihrem Leidwesen – bezeugen konnten …

    Liebe Grüße

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